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Lärm als gefährlicher Angriff

Lärm als gefährlicher Angriff

VwGH vom 21.11.2023, Ro 2023/01/012:
Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol (Verwaltungsgericht) wurde die vom Revisionswerber wegen der am 1. Februar 2023 erfolgten Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt durch Organe der Polizeiinspektion N sowie des Bezirkspolizeikommandos erhobene Maßnahmenbeschwerde gegen das „gewaltsame Eindringen“ in seine Wohnung sowie gegen seine „Festnahme mit Handfesseln nach § 35 VStG“, welche das Verwaltungsgericht als Beschwerde gegen seine Fixierung und das Anlegen von Handfesseln zum Zweck seiner Vorführung nach (dem gemäß § 94 Abs. 53a SPG mit Ablauf des 30. Juni 2023 außer Kraft getretenen) § 46 SPG vor einen Arzt zur psychischen Untersuchung behandelte, abgewiesen. Weiters wurde der Revisionswerber zum Aufwandersatz verpflichtet. Die Revision wurde für zulässig erklärt.

Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass der im Jahr 1935 geborene und unter Erwachsenenvertretung stehende Revisionswerber seine Nachbarn zur Abwehr von „Tonstrahlen“, die er von diesen ausgehen sehe, seit geraumer Zeit nahezu täglich ab dem Nachmittag über Nacht mit Geräuschen (Hundegebell, Pieptönen und Sirenen) aus (mehreren) Tonwiedergabegeräten beschalle. Über Anzeigen der Nachbarn habe beim Revisionswerber deswegen bereits eine Reihe von Polizeieinsätzen stattgefunden, wobei ihm die Wiedergabegeräte bereits zweimal abgenommen worden seien. Verwaltungsstrafen seien wegen der mangelnden Schuldfähigkeit des Revisionswerbers nicht verhängt worden. Die von der Beschallung betroffenen Nachbarn würden seit eineinhalb Jahren unter Schlafentzug leiden und seien deswegen bereits physisch wie psychisch stark beeinträchtigt (unter anderem nervliche Belastung durch Aufregung, Hören von Sirenengeräusch auch außerhalb des Wohnsitzes, Panikattacken, Depression und Migräne), was diese gegenüber einschreitenden Polizeiorganen und der Bezirksverwaltungsbehörde wiederholt geschildert hätten.

Vor den bekämpften Maßnahmen hätten die Nachbarn wieder Anzeige wegen Lärmbelästigung aus der Wohnung des Revisionswerbers erstattet, welche von den einschreitenden Polizeiorgangen vor Ort wahrgenommen und gemessen worden sei. Die einschreitenden Polizeiorgane hätten die jahrelange massive Lärmbelästigung als Körperverletzung und die aktuelle Lärmbelästigung als gefährlichen Angriff qualifiziert. Trotz Aufforderung und diesbezüglicher Androhung habe der Revisionswerber die Wohnungstüre nicht geöffnet, sodass die Organe zwangsweise in die Wohnung gelangt seien. In der Wohnung hätten die Organe auf Grund von dessen Annäherung mit erhobenen Fäusten einen tätlichen Angriff des Revisionswerbers befürchtet, weswegen sie diesen fixiert und diesem nach weiterer Gegenwehr Handschellen (vor dem Körper) angelegt hätten, wobei er näher festgestellte (leichte) Verletzungen erlitten habe. Auf Grund der durch den Revisionswerber in der Vergangenheit wie bei diesem Einschreiten behaupteten Bedrohung durch „Tonstrahlen“ seien die Organe von einer beim Revisionswerber vorliegenden psychischen Erkrankung ausgegangen und hätten diesen zunächst zum diensthabenden Sprengelarzt verbracht und - nach Ausstellung einer Parere - in die psychiatrische Abteilung eines Krankenhauses eingeliefert.

Die Zulässigkeit der Revision begründet das Verwaltungsgericht damit, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu fehle, ob eine massive und über einen langen Zeitraum andauernde Lärmbelästigung von Nachbarn vertretbarerweise als gefährlicher Angriff im Sinne des § 16 Abs. 2 SPG bzw. als Körperverletzung im Sinne des § 83 Abs. 1 StGB und damit als gefährlicher Angriff beurteilt werden könne.

Dagegen richtet sich die vorliegende ordentliche Revision, die sich der Begründung der Zulässigkeit der Revision des Verwaltungsgerichts anschließt und von diesem gemäß § 30a Abs. 6 VwGG mit der Revisionsbeantwortung der belangten Behörde unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegt wurde. Die belangte Behörde beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision gegen Aufwandersatz.

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.

Die Beantwortung der vom Verwaltungsgericht als grundsätzlich angesehenen Rechtsfrage, ob die einschreitenden Organe im vorliegenden Fall von einem gefährlichen Angriff ausgehen durften, stellt eine einzelfallbezogene Beurteilung dar, die im Allgemeinen - sofern sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist. Schon deshalb wird mit diesem Vorbringen keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt.

Dasselbe gilt für das Vorbringen des Revisionswerbers, das Verwaltungsgericht hätte die Ausübung der Befehls- und Zwangsgewalt wegen deren Unverhältnismäßigkeit für rechtswidrig erklären müssen.

Im Übrigen weist der Verwaltungsgerichtshof darauf hin, dass es an Rechtsprechung zu den hier maßgeblichen Kriterien des Vorliegens eines gefährlichen Angriffs auch nicht fehlt:

Nach § 39 Abs. 1 SPG sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt, unter anderem Räume zu betreten, sofern dies zur Erfüllung der ersten allgemeinen Hilfeleistungspflicht oder zur Abwehr eines gefährlichen Angriffs erforderlich ist.

Diese Bestimmung begründet (in Verbindung mit § 50 SPG) nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Befugnis der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, wegen des Verdachts des Vorliegens eines gefährlichen Angriffs nach § 16 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 SPG eine Eingangstüre gewaltsam zu öffnen, um in der Folge eine Wohnung ohne Zustimmung des Verfügungsberechtigten zu betreten und dort zu verweilen.

Ein gefährlicher Angriff ist nach § 16 Abs. 2 SPG die Bedrohung eines Rechtsgutes durch die rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestands einer gerichtlich strafbaren Handlung, die vorsätzlich begangen und nicht bloß auf Begehren eines Beteiligten verfolgt wird, sofern es sich um einen u.a. von dessen Z 1 erfassten Straftatbestand nach dem Strafgesetzbuch (StGB) handelt.

Dies trifft auf den Tatbestand der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu, sodass dessen rechtswidrige Verwirklichung einen gefährlichen Angriff nach § 16 Abs. 2 SPG bildet.

Dass eine § 83 Abs. 1 StGB zu unterstellende Schädigung eines anderen an der Gesundheit auch in einer rein psychischen Einwirkung liegen kann, ist in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs jedenfalls für Zustände anerkannt worden, welchen Krankheitswert im medizinischen Sinn zukommt.

Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts gingen die einschreitenden Organe wegen der bereits langfristig erfolgten vehementen Beschallung der Nachbarn durch den Revisionswerber sowie der bei diesen dadurch bereits hervorgerufenen Leiden (unter anderem Depression und Migräne) von einem gefährlichen Angriff nach § 16 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 SPG wegen Verwirklichung des Tatbilds der Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB aus. Mit Blick auf das Vorgesagte fehlte es nicht an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Anwendung von Befehls- und Zwangsgewalt aus diesem Anlass.

Im Übrigen zeigt der Revisionswerber mit seinen allgemein gehaltenen Ausführungen zur Unverhältnismäßigkeit der Anwendung der Befehls- und Zwangsgewalt fallbezogen auch nicht auf, dass das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unvertretbar abgewichen wäre. Soweit er die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme aus dem Umstand ableiten will, dass die Beendigung der Beschallung auch durch eine Sicherstellung der Wiedergabegeräte des Revisionswerbers als gelinderem Mittel hätte erreicht werden können, ist ihm zu entgegnen, dass dem hier gegenständlichen Einschreiten bereits zwei solche Sicherstellungen vorangegangen waren.

Weder in der Zulässigkeitsbegründung des Verwaltungsgerichts noch in der Revision werden Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Unsere Meinung dazu

Wir haben bereits mehrfach über Judikatur zur Lärmbelästigung berichtet; siehe z.B. unseren Beitrag über Unleidliches Verhalten eines Mieters. Auch in der hier rezensierten Entscheidung ist ein psychisch kranker Mensch gegenständlich, der seine Mitbewohner solang und so intensiv terrorisiert hat, dass manche krankheitswerte Beeinträchtigungen erlitten haben. Diese sind dem VwGH zufolge als Verletzung am Körper zu werten. Insofern ist es auch folgerichtig, dass der Täter nach den Bestimmungen des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) sowohl verhaftet wie auch gefesselt werden darf.