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Miteigentum und Eigenmacht

Miteigentum und Eigenmacht

OGH vom 22.11.2023, 7 Ob 145/23h:
Die Klägerin ist Eigentümerin einer Wohnung in * Wien, * (in der Folge auch Eigentumswohnung). Dabei handelt es sich um die Ehewohnung. Die Klägerin und ihr geschiedener Ehegatte (in der Folge auch Ex-Mann) sind darüber hinaus je zur Hälfte Miteigentümer der Liegenschaft in * Wien, * samt darauf errichtetem Einfamilienhaus (in der Folge Liegenschaft oder Einfamilienhaus).

Der geschiedene Ehegatte der Klägerin bewohnt das Einfamilienhaus etwa seit Jahreswechsel 2019/2020. Damals war er aufgrund einer außerehelichen Beziehung aus der Ehewohnung ausgezogen. Bereits vor diesem Zeitpunkt hielt er sich des öfteren auf der Liegenschaft auf. Die Klägerin hielt sich nur gelegentlich dort auf. Anlässlich des Auszugs zum Jahreswechsel 2019/2020 wurde zwischen der Klägerin und ihrem Ex-Mann die zukünftige Benutzung der Ehewohnung sowie des Einfamilienhauses nicht thematisiert.

Im Jänner 2020 tauschte die Klägerin das Türschloss zur Ehewohnung. Im Zuge des daraufhin eingeleiteten Besitzstörungsverfahrens holte ihr Ex-Mann seine restlichen Sachen ab; seit diesem Zeitpunkt bewohnt die Klägerin die Eigentumswohnung, ihr geschiedener Ehegatte das Einfamilienhaus. Im Jahr 2020 erfuhr die Klägerin erstmals definitiv davon, dass die Beklagte die Lebensgefährtin ihres geschiedenen Ehegatten ist. Ab 1. Jänner 2020 konnte die Klägerin das Einfamilienhaus nicht betreten, weil ihr Ex-Gatte das Schloss gewechselt hatte. Nachdem sie von ihm mehrfach erfolglos Schlüssel zum Haus gefordert hatte, klagte sie ihn im August 2021 auf Duldung des Zutritts und Aushändigung der Schlüssel. Das Bezirksgericht L* gab dieser Klage Ende Juni 2021 statt. Letztlich erhielt sie die Schlüssel im Mai 2022.

Auch nach Rechtskraft des Scheidungsurteils im August 2021 fanden zwischen der Klägerin und ihrem Ex-Gatten keine Gespräche über die Benützung des Einfamilienhauses statt. Mittlerweile wurde ein gerichtliches Aufteilungsverfahren eingeleitet. Die Klägerin erhält kein Entgelt für die Benützung der Liegenschaft durch ihren geschiedenen Gatten, er trägt aber die Betriebskosten. Die Klägerin hat nie ihre Zustimmung zur Benützung der Liegenschaft durch die Beklagte erteilt.

Die Klägerin begehrt mit ihrer am 19. Mai 2022 eingebrachten Klage, die Beklagte schuldig zu erkennen, ihr die Liegenschaft EZ * binnen vierzehn Tagen geräumt von eigenen Fahrnissen zu übergeben.

Die Beklagte beantragt Klageabweisung. Es liege eine Benützungsregelung vor, wonach der Ex-Gatte der Klägerin die Liegenschaft allein benutzen dürfe. Die Aufnahme einer nahestehenden Person, wie insbesondere einer Lebensgefährtin sei von dessen Recht auf Benützung der Liegenschaft zu Wohnzwecken abgeleitet und davon gedeckt. Schließlich habe die Klägerin kein Interesse an der Mitbenützung des Einfamilienhauses, weil ein gemeinsames Wohnen mit ihrem Ex-Gatten dort ohnehin nicht in Betracht komme. Letztlich sei die Klageführung rechtsmissbräuchlich, weil es der Klägerin nur darauf ankomme, das Familienleben ihres Ex-Gatten und seine Beziehung zur Beklagten zu stören.

Das Erstgericht gab dem Räumungsbegehren statt. Da zwischen der Klägerin und ihrem geschiedenen Gatten keine Benützungsvereinbarung bestehe, könnten beide Miteigentümer zwar die gesamte Liegenschaft benützen, eine Benützung der gesamten Liegenschaft durch Dritte, sofern diese über bloße Besuche hinausgehe, sei allerdings ohne Zustimmung der Klägerin nicht zulässig, sodass die Beklagte im Verhältnis zur Klägerin als titellose Benützerin anzusehen sei.

Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung Folge. Das Erstgericht habe eine Benützungsregelung zwischen den ehemaligen Ehegatten zutreffend verneint. Zutreffend weise die Beklagte aber darauf hin, dass sich das Erstgericht nicht mit anderen Formen des Gebrauchs der gemeinsamen Sache auseinandergesetzt habe, aufgrund dessen die Klägerin nicht gegen die Beklagte durchdringen könne. Der einzelne Miteigentümer dürfe die Sache auch ohne Rücksprache mit den anderen benützen und im Rahmen der Verkehrsübung durch dritte Personen, insbesondere Familienangehörige, Gäste etc benützen lassen. Die Aufnahme von Lebensgefährten in den eigenen Haushalt zum gemeinsamen Wohnen entspreche der Verkehrsübung. Die Nutzung der Liegenschaft durch die Beklagte sei somit von dem aus dem Miteigentumsrecht abgeleiteten Gebrauchsrecht ihres Lebensgefährten gedeckt. Insofern sei das Eigentumsrecht der Klägerin beschränkt. Die Klage sei daher abzuweisen.

Unter Miteigentum versteht man die Teilung des Rechts an der ungeteilten Sache nach Bruchteilen dergestalt, dass jedem Miteigentümer die gleichen Befugnisse an der Sache zustehen, er aber über seinen Anteil nach Belieben verfügen kann. Es steht daher jedem Miteigentümer grundsätzlich auch das Recht auf Benutzung der gemeinsamen Sache zu.

Einigen sich die Miteigentümer auf eine bestimmte Aufteilung der Benützung, liegt eine vertragliche Benützungsvereinbarung vor. Dabei werden die Benützungsverhältnisse durch Zuweisung der gemeinschaftlichen Sache oder körperlich begrenzter Teile der Sache zur ausschließlichen Benützung durch einen Teilhaber dauernd oder zumindest für eine bestimmte (längere) Zeit vertraglich geregelt. Sie kann nicht nur ausdrücklich, sondern auch schlüssig zustande kommen, was etwa bei langjähriger und von allen Miteigentümern unwidersprochen gehandhabter Übung angenommen wird. Im Zweifel ist nicht eine so weitgehende Bindung, sondern bloß eine nicht bindende faktische Gebrauchsregelung anzunehmen.

Den Vorinstanzen ist zuzustimmen, dass eine schlüssige Benützungsvereinbarung dergestalt, dass der geschiedene Ehegatte der Klägerin das Einfamilienhaus zur Gänze allein nutzen darf, nicht vorliegt. Der Ex-Gatte ist Ende 2019/Anfang 2020 aus der Ehewohnung ausgezogen. Weder damals und auch zu keinem späteren Zeitpunkt wurde die künftige Nutzung der Ehewohnung und des Einfamilienhauses zwischen den Beiden thematisiert. Nachdem die Klägerin Anfang des Jahres 2020 das Einfamilienhaus nicht betreten konnte, forderte sie ihren Ex-Gatten zur Aushändigung der Schlüssel auf. Diese bekam sie jedoch erst nach einer erfolgreichen Klagsführung gegen ihn im Jahr 2022. Es mag daher zwar sein, dass die Klägerin bisher faktisch die Nutzung des Einfamilienhauses durch ihren Ex-Gatten geduldet hat, es gibt aber keinerlei Anhaltspunkte für einen diesbezüglichen Rechtsfolgewillen der Klägerin.

Eine faktische Benützungsordnung liegt vor, wenn die Miteigentümer die Benützung der gemeinsamen Sache formlos handhaben, ohne dass im Hinblick auf die gelebte Praxis ein Rechtsfolgewille besteht.

Grundsätzlich ist jeder Teilhaber berechtigt, die gemeinschaftliche Sache auch ohne vorherige Absprache mit den übrigen Teilhabern zu benützen. Bei beschränkter Gebrauchsmöglichkeit (zB Einfamilienhaus) darf jeder Teilhaber die gemeinschaftliche Sache derart gebrauchen, dass er hiedurch den Gebrauch durch die anderen nicht beeinträchtigt. Dabei ist nicht auf abstrakte Gebrauchsmöglichkeiten anderer Miteigentümer abzustellen, sondern auf den konkreten Gebrauch durch den anderen Bedacht zu nehmen.

Eigenmächtige Veränderungen tatsächlicher oder rechtlicher Natur an der Substanz oder auch bloß am Gebrauch sowie Verfügungen eines Teilhabers, die in das Anteilsrecht zumindest eines weiteren eingreifen würden, sind rechtswidrig und geben dem anderen Abwehrrechte. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die bisherige Benützung der gemeinschaftlichen Sache auf einer vereinbarten oder richterlichen Benützungsregelung oder einer bloß faktischen Gebrauchsordnung beruht. Gestattet sind lediglich Änderungen der Benützungsart, die die anderen Miteigentümer nicht beeinträchtigen. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer Veränderung ist die bisherige Ausübung des Mitbesitzes. Ohne Beanspruchung eines konkreten Gebrauchs durch den klagenden Miteigentümer liegt aber keine titellose Benützung durch die anderen Miteigentümer vor.

Verfahren, die der Wahrung des Gesamtrechts dienen, ist jeder Teilhaber (Miteigentümer) allein und ohne Zustimmung der übrigen sowie ohne richterliche Ermächtigung klagebefugt. Dazu gehört etwa die Erhebung einer Räumungsklage gegen titellose Benützer. Allerdings steht dem Miteigentümer dieses Recht nur insoweit zu, als er sich nicht in Widerspruch zu anderen Miteigentümern setzt. In diesem Sinn entspricht es auch der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Negatorienklage (§ 523 ABGB), dass dem Eingriff eines Dritten die Eigenmacht schon dann fehlt, wenn nur ein Teilhaber den Eingriff gestattet hat. Die zitierte Rechtsprechung zu § 523 ABGB muss mangels eines sachlichen Unterschieds auch für die Räumungsklage gelten.

Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass der ehemalige Gatte der Klägerin den bestehenden Zustand aufrecht erhalten und weiterhin mit der Beklagten als Lebensgefährtin im Einfamilienhaus zusammenleben will. Mit ihrer Klage setzt sich die Klägerin als Hälfteeigentümerin in Widerspruch zum Verhalten des anderen Miteigentümers, sodass ihr Klagebegehren gegen die Beklagte als Dritte scheitern muss.

Unsere Meinung dazu

Ein Sachverhalt, der nicht unbedingt verallgemeinert werden kann. Sehr speziell. Stehen lassen kann man aber den Tenor des OGH, wonach jeder Miteigentümer einem Dritten gestatten darf, die gemeinsame Sache (Einfamilienhaus) zu benutzen und ein anderer Miteigentümer das dann nicht verbieten kann, wenn seine Rechte nicht beeinträchtigt werden. Wie gesagt, das kann man nicht auf jeden Sachverhalt anwenden, aber zumindest als Richtschnur verwenden.