Haftung des Liftunternehmers als Pistenhalter
Ferdinand Bachinger
Admin | 21. Oktober 2022
OGH vom 14.09.2022, 6 Ob 64/22p (auszugsweise):
[...] Mit Abschluss des Beförderungsvertrags übernimmt der Liftunternehmer als Pistenhalter die Pflicht, im unmittelbaren Bereich des von ihm eröffneten Schiverkehrs die körperliche Integrität seiner Vertragspartner durch nach der Verkehrsauffassung erforderliche und zumutbare Maßnahmen zu schützen (2 Ob 30/10s). Er ist verpflichtet, dort entsprechende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, wo dem Schifahrer durch nicht oder schwer erkennbare Hindernisse Gefahren drohen (RS0023255). Nach ständiger Rechtsprechung hat er demnach atypische Gefahren zu sichern, also solche Hindernisse, die der Schifahrer nicht ohne weiteres erkennen kann, und solche, die er trotz Erkennbarkeit nur schwer vermeiden kann (2 Ob 49/09h; RS0023417).
Die Verpflichtung zur Pistensicherung erstreckt sich nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs auch auf den Pistenrand, weil mit dem Sturz eines Schifahrers über den Pistenrand hinaus jederzeit, also auch bei mäßiger Geschwindigkeit, gerechnet werden muss (2 Ob 186/15i mwN). Atypische Gefahrenquellen sind daher – innerhalb der Grenzen des Zumutbaren (vgl RS0023271) – auch dann zu sichern, wenn sie sich knapp neben der Piste befinden (RS0023499 [T9]). Wenn der Pistenbetreiber außerhalb der Piste selbst ein (künstliches) Hindernis schafft, dann muss er dieses auch wieder entfernen, jedenfalls aber entsprechend absichern, damit es für vernünftige Durchschnittsfahrer keine ernstliche Gefahr darstellen kann, wenn er damit rechnen muss, dass Schifahrer von der Piste in dieses ungesicherte Gelände abkommen (1 Ob 75/00m; 6 Ob 30/17f). Das Ausmaß der Sicherungsvorkehrungen auf einer Schipiste richtet sich folglich nicht allein nach der fehlenden Erkenn- bzw Vermeidbarkeit des Hindernisses, sondern auch nach der Art und dem Ausmaß der Gefahrenquelle (vgl zur Sicherungspflicht bei künstlich geschaffenen Hindernissen RS0023469; vgl weiters Stabentheiner, Die Haftung des Pistenhalters und vergleichbarer Sportanlagenbetreiber, ZVR 2017/244, 452 [454]).
So wurde in der Vergangenheit bereits mehrfach ausgesprochen, dass die Anbringung eines Fangnetzes an ungesicherten Stehern eine neuerliche Gefahrenquelle für stürzende Schifahrer heraufbeschwört, die insoweit erheblich ist, als die Kollision mit massiven Stehern zu erheblichen Verletzungen führen kann, weshalb diesen Gefahren vom Pistenhalter durch Polsterung und Ummantelung der Steher begegnet werden muss (dazu 1 Ob 533/91; 2 Ob 501/93; 4 Ob 1585/95; 5 Ob 34/06w), auch wenn solche Fangnetze für den Pistennutzer gewöhnlich schon von weitem erkennbar sind, sodass er sein Fahrverhalten grundsätzlich ohnedies rechtzeitig darauf einstellen kann. Zwar hängt die Reichweite der den Pistenhalter treffenden Sicherungspflichten von der konkreten örtlichen Situation ab, weshalb sie generellen Aussagen nicht zugänglich ist (RS0023237 [T3]; RS0109002). In ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs haben sich jedoch als maßgebende – gesamtschauartig zu beurteilende – Kriterien für Art und Umfang der Pistensicherungspflicht die Größe und Wahrscheinlichkeit der atypischen Gefahr sowie ihre Abwendbarkeit einerseits durch das Gesamtverhalten eines verantwortungsbewussten Benützers der Piste (dazu auch RS0023485; zuletzt 4 Ob 181/20a) und andererseits durch den Pistenhalter mit nach der Verkehrsauffassung adäquaten Mitteln herausgebildet (RS0023237 [T1]; zuletzt 6 Ob 30/17f und 1 Ob 219/18i).
Zu Recht ist das Berufungsgericht daher hinsichtlich des hier in Rede stehenden Streckenabschnitts von einer erhöhten Wahrscheinlichkeit von Stürzen über den Pistenrand hinaus – und folglich in den Fangzaun – ausgegangen, weil aufgrund der Besonderheiten des Geländes geradezu typischerweise damit zu rechnen ist, dass Pistennutzer die flache, in einer leichten Linkskurve verlaufende Engstelle regelmäßig mit höherer Geschwindigkeit durchfahren, um ein Anschieben bei der daran anschließenden Steigung zu vermeiden, und dabei zwangsläufig aufgrund der Pistenverengung in den Nahbereich des Zauns geraten. Schon der Umstand, dass dort überhaupt ein Fangzaun angebracht war, zeigt, dass auch die Beklagte offenbar die Gefahr eines Hinausrutschens stürzender Pistennutzer über den Pistenrand erkannt hat.
Hinzu kommt, dass die Absicherung der durchaus verletzungsträchtigen Stahlanker in der konkreten Konstellation für die Beklagte auch ohne weiteres zumutbar gewesen wäre: Sie hätte nur den vor Ort ohnedies bereits vorhandenen Fangzaun dergestalt spannen müssen, dass er nach unten hin bis zur Schneeauflage reicht und damit seiner zentralen Funktion, nämlich dem Abfangen von Schi- und Snowboardfahrern, gerecht wird. In diesem Sinn hat der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen, dass Fangnetze bis zum Bodenniveau hin auszuführen sind, um ein Durchrutschen gestürzter Schifahrer zu verhindern (7 Ob 577/88; 6 Ob 661/94; 10 Ob 170/00y).
Schließlich hat das Berufungsgericht zutreffend darauf Bedacht genommen, dass die Beklagte mit der Zaunkonstruktion samt zugehörigen Stahlankern selbst ein künstliches Hindernis geschaffen hat, das wiederum schon abgesichert werden hätte müssen, um nicht selbst zu einer neuen Gefahrenquelle für die Pistennutzer zu werden. Von einer Überspannung der Pistensicherungspflichten der Beklagten kann in der vorliegenden Fallkonstellation aus all diesen Gründen keine Rede sein.[...]
Unsere Meinung dazu
Die vom Obersten Gerichtshof ausführlich dargestellte ständige Rechtsprechung zur Pistensicherungspflicht des Liftunternehmers als Pistenhalter ist ebenso zutreffend wie logisch. Wenn der Pistenhalter (auch abseits der Piste) zusätzliche Gefahrenquellen schafft, dann sind diese auch so abzusichern, dass sich bei typischen Kausalverläufen kein Pistennutzer verletzen kann. Dies trifft auch für Sicherungseinrichtungen selbst zu. Als Erkenntnis kann man also mitnehmen: Wenn schon ein Fangnetz aufgestellt wird, dann muss diese Sicherungseinrichtung auch fachgerecht positioniert und montiert werden. Missachtet der Pistenhalter dies, setzt er sich (trotz womöglich bester Absichten) einer zusätzlichen Haftung aus.