Ersitzung von Wegerechten durch eine Gemeinde

Ferdinand Bachinger
Admin | 04. November 2022
OGH vom 23.09.2022, 4 Ob 88/22b: (auszugsweise):
[...] Für die Ersitzung von Wegerechten durch eine Gemeinde genügt die Benützung durch Gemeindeangehörige und/oder durch das Touristenpublikum, wobei es ausreicht, dass die Benützung so erfolgt, wie wenn es sich um einen öffentlichen Weg handeln würde (RS0010120 [T5]). Zur Ersitzung eines Wegerechts zugunsten einer Gemeinde ist neben den anderen Voraussetzungen für eine Ersitzung der Gemeingebrauch während der Ersitzungszeit sowie die Notwendigkeit des Wegs erforderlich. Es genügt dabei, dass jedermann den Weg als öffentlichen Weg ansieht und behandelt. Eine besondere Absicht, das Wegerecht für die Gemeinde zu ersitzen, ist nicht erforderlich. Es genügt dabei, dass jedermann den Weg als öffentlichen Weg ansieht und behandelt. In diesem Fall wird der Besitzwille der Gemeinde vermutet (RS0011698 [T5, T6]). Eine über die Nutzung durch die Allgemeinheit hinausgehende Dokumentation des Besitzwillens der Gemeinde ist nicht erforderlich (vgl Ehgartner/Winkler in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 1460 Rz 29).
Allerdings kann eine Ersitzung einer inhaltsgleichen Servitut bei Ausübung eines schuldrechtlichen Gebrauchsrechts – auch in der Frist des § 1477 ABGB – nicht stattfinden (RS0034106 [T2] betreffend den Fall eines Bestandrechts) und alle Sachen, an denen dem Berechtigten die Gewahrsame rechtsgeschäftlich überlassen wurde, können nicht ersessen werden (RS0034095).
Bei der klagenden Gemeinde und den Österreichischen Bundesforsten handelt es sich aber um zwei verschiedene Rechtssubjekte und nicht um ein und denselben Berechtigten. Das Pachtverhältnis zu den Bundesforsten hindert somit nicht die gleichzeitige Ersitzung des Rechts durch die Klägerin. Eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung über eine Servitut zugunsten der Allgemeinheit zwischen dem Eigentümer des dienenden Grundstücks und einem (öffentlichen) Rechtsträger hindert nicht grundsätzlich die gleichzeitige Ersitzung dieser Servitut für die Allgemeinheit durch die Gemeinde. Schließlich ist sie es, die in erster Linie die „Allgemeinheit“ auf ihrem Gebiet repräsentiert. Allerdings müssen sämtliche Voraussetzungen für die Ersitzung vorliegen.
Der Grundsatz, dass Sachen – oder Rechte an Sachen –, an denen den Berechtigten die Gewahrsame rechtsgeschäftlich überlassen wurde, nicht ersessen werden können, weil es an der erforderlichen Redlichkeit des Besitzes fehlt, gilt nicht uneingeschränkt. Die Redlichkeit fehlt aber in der Regel dann, wenn dem Nutzer der Umstand der bloß obligatorischen Gebrauchsüberlassung bekannt ist oder bei ausreichender Sorgfalt bekannt sein muss (vgl RS0034095 [T14]). Die fehlende Redlichkeit des Ersitzungsbesitzers hat der Ersitzungsgegner zu behaupten und zu beweisen (RS0010185). [...]
Zur Frage der Nützlichkeit/Notwendigkeit ist auszuführen, dass an die Notwendigkeit grundsätzlich keine strengen Anforderungen zu stellen sind (RS0010120 [T7]). Es genügt, dass alle nach der räumlichen Nähe in Betracht kommenden Personen einen Weg offenkundig zum allgemeinen Vorteil benützen (RS0010120 [T8]).[...]
Unsere Meinung dazu
Die Judikatur des OGH zur Ersitzung von Wegerechten durch Gemeinden kann als bekannt und gefestigt bezeichnet werden. Spannend ist hier aber, dass der "Treppelweg" entlang eines Sees auch Gegenstand eines Pachtvertrages mit den ÖBF war. Die Verpachtung verhindert die Ersitzung durch den Pächter. Nicht aber so durch die Gemeinde. Wenn also Gemeindebürger oder Touristen einer Gemeinde einen Weg lang genug benutzen, kann das Wegerecht für die Allgemeinheit ersessen werden, auch wenn der Grund eigentlich verpachtet ist. Der Verpächter muss sich also darum kümmern, dass trotz der Verpachtung sein Grundstück nicht von anderen als Weg genutzt wird, andernfalls er sich die Ersitzung eines entsprechenden Wegerechtes entgegenhalten lassen muss. Diese Pflicht kann vom Verpächter im Bestandsvertrag auf den Pächter überbuden werden. Dabei ist auf viele Punkte zu achten, die wir gerne erläutern.