Verwandtschaftshilfe auf Baustelle

Ferdinand Bachinger
Admin | 11. Februar 2024
OGH vom 14.12.2023, 2 Ob 191/23m:
Der Erstbeklagte wollte 2019 für seine Skischule ein Gebäude errichten. Bei der Planung der Baustelle und vor Ort half ihm der Drittbeklagte, sein Schwager, der Dienstnehmer des zweitbeklagten Bauunternehmens ist. Teils erfolgte dessen Mitarbeit im Rahmen der Verwandtschaftshilfe, teils über die Zweitbeklagte, die vom Erstbeklagten mit Materiallieferungen und Arbeitsleistungen in Regie beauftragt wurde, u.a. im Zusammenhang mit der Dachkonstruktion.
M* ist der Onkel des Erstbeklagten und Vertragsbediensteter der Klägerin. Er half am 25. und 26. Oktober 2019 ebenfalls im Rahmen der Verwandtschaftshilfe auf der Baustelle mit. Am 26. Oktober 2019 begab er sich aus nicht mehr feststellbaren Gründen auf das in Errichtung befindliche und nicht ausreichend abgesicherte Dach und stürzte von dort ab. Er verletzte sich dabei schwer und wird auch dauerhaft beeinträchtigt bleiben.
Die Klägerin erbrachte daraufhin teils Leistungen als Arbeitgeberin und teils als Trägerin der Krankenfürsorgeanstalt der Magistratsbediensteten der *stadt *, bei der der Verunfallte als Bediensteter der Klägerin krankenversichert war, und ließ sich überdies Ansprüche des Verunfallten abtreten.
Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts, das eine Haftung des Erstbeklagten für aufgrund des Unfalls bereits erbrachte sowie zukünftige Leistungen der Klägerin wegen einer Verletzung seiner allgemeinen Verkehrssicherungspflicht als Bauherr bejahte, jedoch ein gleichteiliges Mitverschulden des Verunfallten annahm. Eine Haftung des zweitbeklagten Bauunternehmens verneinten die Vorinstanzen hingegen übereinstimmend, weil der Verunfallte nicht bei diesem beschäftigt gewesen sei und keine diesem zuzurechnende Person von einer Weiterarbeit am Dach durch freiwillige Helfer über das Wochenende gewusst habe. Auch der Drittbeklagte sei am Unfallstag nicht als Bauleiter der Zweitbeklagten tätig geworden, sondern habe bloß privat mitgeholfen, sodass er weder die Zweitbeklagte repräsentiert habe, noch persönlich hafte.
Rechtliche Beurteilung
Der konkrete Inhalt einer Verkehrssicherungspflicht hängt genauso von den Umständen des Einzelfalls ab wie die Beurteilung, wann die Grenze der Zumutbarkeit überschritten ist. Entscheidungen über Verkehrssicherungspflichten sind daher nur dann revisibel, wenn dem Berufungsgericht eine Fehlbeurteilung unterlief, die einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedarf.
Das ist hier nicht der Fall:
Wer eine Gefahrenquelle schafft, hat schon nach allgemeinen Grundsätzen die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung abzuwenden. Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung selbst bei einem bloß beschränkten Verkehr wie auf einer Baustelle, und auch gegenüber freiwilligen Helfern bei Bauarbeiten in Eigenregie. Besteht nach den Erfahrungen des täglichen Lebens eine naheliegende und voraussehbare Gefahrenquelle, hat der Inhaber einer Anlage die zur Gefahrenabwehr notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen auch dann zu treffen, wenn er durch die baurechtlichen Vorschriften nicht dazu verhalten wäre und alle sonstigen behördlichen Genehmigungen vorliegen.
Der Erstbeklagte sieht hier eine Sonderkonstellation aufgrund der Feststellung des Erstgerichts verwirklicht, laut der der Verunfallte äußerte, er werde am Boden helfen, weil er nicht schwindelfrei sei, und diesem gerade keine Aufgaben am Dach übertragen worden seien.
Die Verkehrssicherungspflicht entfällt nach ständiger Rechtsprechung bei Schaffung oder Duldung einer besonderen Gefahrenquelle aber nicht schon dann, wenn jemand ohne Gestattung in einen fremden Bereich eingedrungen ist. Besteht die Möglichkeit, dass Personen versehentlich in den Gefahrenbereich gelangen, oder dass Kinder und andere Personen, die nicht die nötige Einsichtsfähigkeit haben, um sich selbst vor Schaden zu bewahren, gefährdet werden, oder besteht eine ganz unerwartete und große Gefährdung, so kann eine Interessenabwägung ergeben, dass der Inhaber der Gefahrenquelle dennoch zumutbare Maßnahmen zur Vermeidung von Schädigungen zu ergreifen hat.
Da hier keine konkrete Aufgabenaufteilung festgestellt werden konnte, niemandem verboten wurde, den Dachbereich zu betreten, und gerade nicht feststeht, dass die besonderen Gefahren bei Dacharbeiten allen Helfern ausreichend bekannt waren, ist die Rechtsansicht der Vorinstanzen vertretbar, dass der Erstbeklagte im Rahmen der Verwandtschaftshilfe an einem Wochenende mit einem Einstieg von nicht professionellen Helfern in den äußerst gefahrenträchtigen Bereich des unfertigen und ungesicherten Daches hätte rechnen müssen und als Bauherr (technisch notwendige, mögliche, zumutbare und den Unfall verhindernde) Sicherungsmaßnahmen hätte setzen müssen. Warum es nicht zumutbar gewesen sein sollte, alle unkundigen Helfer zumindest ausdrücklich zu warnen und ihnen ein ungesichertes Begehen des Daches explizit zu untersagen, lässt das Rechtsmittel offen.
Unsere Meinung dazu
Eine logische und richtige Entscheidung des OGH, die allerdings als Warnung an alle privaten Häuslbauer verstanden werden muss. Auch wenn nur Freunde oder Verwandte auf der Baustelle tätig sind, muss der Bauherr alle zumutbaren und notwendigen Vorkehrungen treffen, um Personenschäden abzuwenden. Es müssen also alle Sicherungsmaßnahmen ergriffen werden, die auch eine professionelle Baufirma vorzusehen hätte, um die persönliche Haftung des Bauherrn zu vermeiden. Die Einhaltung dieser Maßgabe kann teuer sein, die Nichteinhaltung allerdings noch mehr. Das Risiko wird - nebenbei gesagt - nicht versicherbar sein.