Beschattung vor Klimananlage
Ferdinand Bachinger
Admin | 09. Oktober 2022
OGH vom 29.08.2022, 5 Ob 36/22p (auszugsweise):
[...] Die Zulässigkeit einer Änderung eines Wohnungseigentumsobjekts iSd § 16 Abs 2 WEG lässt sich nicht grundsätzlich bejahen oder verneinen. Es kommt immer auf die Umstände des Einzelfalls an, die in ihrer Gesamtheit zu beurteilen sind. [...]
Der Begriff des „wichtigen Interesses“ in § 16 Abs 2 Z 2 WEG stellt auch auf individuelle Gegebenheiten ab, auf die Nachvollziehbarkeit des Wunsches des Wohnungseigentümers nach der konkreten Veränderung, die, um schützenswert zu sein, fast an eine Notwendigkeit der Durchführung der Veränderung reichen muss, um dem Wohnungseigentümer das weitere Bewohnen seiner Wohnung nach heute üblichem Standard zu ermöglichen (5 Ob 24/08b = RS0083341 [T11]). Die vom Erstgericht auf Basis seiner Feststellungen zur allgemeinen Klimaentwicklung als notorisch bezeichnete Tatsache, dass es dadurch im dicht verbauten Stadtgebiet, vor allem in Wien und insbesondere bei Wohnungen, die in einem höheren Stockwerk direkt unter einem Dachgeschoss oder Dachboden liegen, in den Sommermonaten zu einem „Aufheizen“ der Wohnungen auf oft über 30 Grad Celsius komme und auch in der Nacht die Temperatur kaum absinke, trifft für die individuellen Gegebenheiten im konkreten Einzelfall keine verlässliche Aussage. Die vom Erstgericht daraus abgeleitete Schlussfolgerung, dass solche Wohnungen mit Klimaanlagen nachgerüstet werden müssen, um zu Wohnzwecken geeignet zu sein, ist auch keineswegs zwingend. Das zeigt – entgegen der Auffassung des Antragsstellers – auch die mit der WEG-Novelle 2022 vorgenommene Erweiterung der Privilegierungen im Änderungsrecht des § 16 WEG. Im Zusammenhang mit dem Klimawandel anerkannte der Gesetzgeber zwar das steigende Bedürfnis, allzu hohen Raumtemperaturen von Wohn- und Geschäftsräumen entgegenzuwirken. Dieses Ziel soll aber durch Beschattung, also durch Anbringung von Beschattungsvorrichtungen wie Rollläden, Markisen oder Außenjalousien und „möglichst auch ohne Klimaanlagen“ erreicht werden (RV 1174 XXVII. GP 2 f, 11).
Dem Rekursgericht ist daher zuzustimmen, dass die vom Erstgericht angestellten allgemeinen Erwägungen die Annahme eines konkreten wichtigen Interesses eines Wohnungseigentümers nicht rechtfertigen. Diese können den für eine Bejahung des wichtigen Interesses erforderlichen Tatsachenbeweis daher nicht ersetzen (vgl 5 Ob 59/21v [Verkehrsüblichkeit nach § 9 MRG]).[...]
Insoweit das Rekursgericht dem Erstgericht die Ergänzung der Tatsachengrundlage auch in Bezug auf die Montage der Klimaanlage im Lichthof als mögliche gelindere Maßnahme aufträgt, verstößt dieses auch nicht gegen das Neuerungsverbot. Die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen des wichtigen Interesses trägt der änderungswillige Wohnungseigentümer (5 Ob 26/20i mwN). Diese umfasst auch das für die Beurteilung maßgebliche Kriterium der Verhältnismäßigkeit des Interesses zum konkret erforderlichen Ausmaß der Inanspruchnahme allgemeiner Liegenschaftsteile (vgl 5 Ob 24/08b).[...]
Unsere Meinung dazu
Das Verfahren ist zwar zurückverwiesen worden und damit keineswegs erledigt, der Oberste Gerichtshof zeigt aber sehr deutlich auf, was er vom Wildwuchs der Klima(außen)geräte in Städten hält - nicht allzu viel. Primär werden Wohnungseigentümer und Mieter daher auf "gelindere" Mittel wie Innenbeschattung oder Markisen zurückgreifen müssen. Klimaanlagen sind im Bereich des Wohnungseigentumsgesetzes jedenfalls nur dann gegen den Willen der anderen Eigentümer durchsetzbar, wenn alle anderen Maßnahmen unzumutbar wären.