Gefahr des täglichen Lebens
Ferdinand Bachinger
Admin | 17. September 2023
OGH vom 28.06.2023, 7 Ob 87/23d:
Der Kläger war bei der Beklagten haushaltsversichert; darin war eine Privat- und Sporthaftpflichtversicherung beinhaltet. Dem zugrunde lagen die HH1-Allgemeinen Bedingungen für die Haushaltsversicherungen (idF „ABH“); sie lauten auszugsweise:
„Art. 8 Was gilt als Versicherungsfall?
1. Versicherungsfall ist ein Schadensereignis, das dem privaten Risikobereich entspringt und aus welchem dem Versicherungsnehmer Schadenersatzverpflichtungen [...] erwachsen oder erwachsen könnten. [...]
Art. 10 Welche Gefahren sind mitversichert?
Die Versicherung erstreckt sich auf Schadenersatzverpflichtungen des Versicherungsnehmers als Privatperson aus den Gefahren des täglichen Lebens [...].“
Am 27. 12. 2019 besuchte der damals beim Bundesheer als Ausbildner tätige Kläger mehrere Freunde in einer Wohngemeinschaft. Da er für den darauffolgenden Tag eine private Waffenübung plante, hatte er seine Pistole in einer Sporttasche dabei. Nach dem Genuss von einigen Tassen alkoholhaltigem Punsch nahm er diese Waffe aus der Tasche, um sie herzuzeigen. Er legte ein Magazin ein, in dem sich seiner Meinung nach lediglich eine Übungspatrone befand. Tatsächlich befand sich unter der Übungspatrone eine scharfe Patrone, die der Kläger im Zuge eines „Waffenchecks“ unabsichtlich nachlud und aus Unachtsamkeit nicht bemerkte. Danach betätigte er absichtlich den Abzug, ohne sich zu vergewissern, wo sich die verschiedenen Personen, die sich in den Räumlichkeiten bewegten, gerade aufhielten. Er schoss einem Mitbewohner in den Brustbereich und verletzte ihn schwer.
Die Vorinstanzen haben die Deckungsklage des Klägers abgewiesen, weil das Verhalten des Klägers bereits von der primären Risikoumschreibung in Art. 10 ABH nicht umfasst sei.
Der versicherungsrechtliche Begriff der „Gefahr des täglichen Lebens“ ist nach ständiger Rechtsprechung so auszulegen, dass davon jene Gefahren, mit denen üblicherweise im Privatleben eines Menschen gerechnet werden muss, umfasst sind. Die Gefahr, haftpflichtig zu werden, stellt im Leben eines Durchschnittsmenschen nach wie vor eine Ausnahme dar. Deshalb will die Privathaftpflichtversicherung prinzipiell Deckung auch für außergewöhnliche Situationen schaffen, in die auch ein Durchschnittsmensch hineingeraten kann. Freilich sind damit nicht alle ungewöhnlichen und gefährlichen Tätigkeiten abgedeckt. Für das Vorliegen einer Gefahr des täglichen Lebens ist nicht erforderlich, dass sie geradezu täglich auftritt. Vielmehr genügt es, wenn die Gefahr erfahrungsgemäß im normalen Lebensverlauf immer wieder, sei es auch seltener, eintritt. Es darf sich nur nicht um eine ungewöhnliche Gefahr handeln, wobei Rechtswidrigkeit oder Sorglosigkeit eines Vorhabens den daraus entspringenden Gefahren noch nicht die Qualifikation als solche des täglichen Lebens nehmen. Voraussetzung für einen aus der Gefahr des täglichen Lebens verursachten Schadensfall ist nämlich eine Fehlleistung oder eine schuldhafte Unterlassung des Versicherungsnehmers. Allerdings hat der Fachsenat auch schon in Fällen (bloß) fahrlässiger Handlungen die Verneinung des Vorliegens einer Gefahr des täglichen Lebens durch das Berufungsgericht als nicht korrekturbedürftig erachtet. Die Abgrenzung zwischen dem gedeckten Eskalieren einer Alltagssituation und einer nicht gedeckten ungewöhnlichen und gefährlichen Tätigkeit hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, was in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs. 1 ZPO begründet.
Wenn die Vorinstanzen das Mitnehmen einer Waffe in eine fremde Wohnung und das nach dem Konsum von Alkohol erfolgte Manipulieren an dieser Waffe einerseits völlig ohne Anlass und andererseits so unaufmerksam, dass die scharfe Patrone übersehen wurde und letztlich das Betätigen des Abzugs in einer Wohnung voller Menschen als ein Verhalten qualifiziert haben, das über die Fehleinschätzung einer gefährlichen Situation hinausgeht, so hält sich das im Rahmen der zitierten Rechtsprechung. Der Versicherte schuf hier eine besondere Gefahrensituation, ohne dass dafür die geringste Notwendigkeit bestand. Eine solche Situation tritt erfahrungsgemäß auch im normalen Lebenslauf nicht immer wieder ein. Im vorliegenden Fall hat sich daher keine Gefahr des täglichen Lebens verwirklicht.
Unsere Meinung dazu
Der OGH hat in dieser Entscheidung ausführlich und überzeugend dargestellt, was als eine (versicherte) Gefahr des täglichen Lebens angesehen werden kann und was nicht. Waffen und Magazine, die scharfe Munition enthalten, zählen nicht zu den Gefahren des täglichen Lebens; vor allem dann nicht, wenn unter Alkoholeinfluss unsachgemäß damit hantiert wird. Dem ist nichts hinzuzufügen.