Blog Detail

Tierhalterhaftung gemäß § 1320 ABGB

Tierhalterhaftung gemäß § 1320 ABGB

OGH vom 27.06.2023, 2 Ob 114/23p:
Die zum Unfallszeitpunkt fünfjährige Klägerin wurde im Rahmen eines vom erstbeklagten Verein veranstalteten „Apfelblütenfests“ durch ein Pferd am Kutschengespann des Zweitbeklagten, der Fahrten für die Festbesucher durchführte, anlässlich eines von ihm (langsam und vorsichtig) durchgeführten Wendemanövers am Daumen schwer verletzt.

Das Berufungsgericht ging davon aus, dass dem Zweitbeklagten der Verstoß gegen ein Fahrverbot subjektiv nicht vorgeworfen werden könne, weil die Fahrten schon seit Jahrzehnten durchgeführt und von der anwesenden Polizei nicht beanstandet worden seien. Dieser Annahme eines in diesem Fall nicht vorwerfbaren Rechtsirrtums, tritt das Rechtsmittel nicht mit konkreten Argumenten entgegen.

Dass die Besucher des Festes vom Schutzzweck des Fahrverbots umfasst sind, wurde – entgegen den Ausführungen im Rechtsmittel – vom Berufungsgericht nicht verneint. Die entsprechenden Ausführungen im Rechtsmittel sind damit nicht relevant und nicht geeignet, die Zulässigkeit des Rechtsmittels zu begründen.

Die Tierhalterhaftung nach § 1320 ABGB setzt voraus, dass der eingetretene Schaden auf die besondere Tiergefahr zurückzuführen ist, der durch die Pflicht zur sorgfältigen Verwahrung des Tieres begegnet werden soll.

Die besondere Tiergefahr liegt darin, dass – auch gutmütige – Tiere durch ihre von Trieben und Instinkten gelenkten Bewegungen, die nicht durch Vernunft kontrolliert werden, Schaden stiften können.

Es bedarf keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung, wenn das Berufungsgericht im Anlassfall durch den Umstand, dass das Pferd beim Wendemanöver mit dem Huf auf das gestürzte klagende Kind stieg, die typische Tiergefahr nicht verwirklicht sah, und davon ausging, dass die Klägerin damit nicht durch ein besonderes Verhalten des Pferdes (Scheuen, Aufbäumen, Wiehern, Fluchtbewegung etc) verletzt worden sei.

Auch insoweit eine „Haftung durch Verletzung des Vertrauensgrundsatzes“ geltend gemacht wird, liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor. Die Nichtanwendung des Vertrauensgrundsatzes gegenüber Kindern setzt grundsätzlich deren Wahrnehmbarkeit voraus und kommt daher nur dann in Betracht, wenn nach den Umständen mit der Benützung der Fahrbahn durch Kinder zu rechnen ist. Die Klägerin hat in erster Instanz kein Vorbringen erstattet, auf das ein Verstoß gegen § 3 Abs 2 StVO gestützt werden könnte. So wurde insbesondere nicht vorgebracht, dass für den Zweitbeklagten die Klägerin (oder andere Kinder) überhaupt wahrnehmbar gewesen seien. Schon aufgrund des Verstoßes gegen das Neuerungsverbot liegt damit keine vom Obersten Gerichtshof zu lösende Frage vor.

Der Unfall hatte bei der Klägerin eine Teilamputation des Endglieds des rechten Daumens mit offener Fraktur des rechten Endglieds zur Folge. Durch die körperliche Verletzung litt die mj Klägerin komprimiert sechs Tage unter starken Schmerzen, zwölf Tage unter mittelstarken Schmerzen und 15 Tage unter leichten Schmerzen. Darüber hinaus erlitt sie eine psychische Beeinträchtigung mit Krankheitswert in Form einer Anpassungsstörung sowie Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung mit leichter Einschränkung des psychosozialen Funktionsniveaus, was komprimiert 30 Tage an leichten seelischen Schmerzen zur Folge hatte.

Wenn sich die Klägerin aufgrund der festgestellten Verletzungen gegen die von den Vorinstanzen vorgenommene Schmerzengeldbemessung im Ausmaß von 12.000 EUR wendet, zeigt sie keine eklatante Fehlbemessung durch das Berufungsgericht auf, weshalb auch insofern keine erhebliche Rechtsfrage vorliegt.

Unsere Meinung dazu

Diese Entscheidung des OGH enthält zwei interessante Rechtssätze. Zum einen muss für eine Haftung des Tierhalters die besondere Tiergefahr verwirklicht werden und zum anderen gilt der Ausschluss des Vertrauensgrundsatzes für Kinder nur dann, wenn das Kind auch tatsächlich wahrnehmbar oder nach dem Umständen mit Kindern zu rechnen war. Ersteres kann gerade bei Fluchttieren entscheidend sein. Wenn also ein Pferd bei normalem Gang auf ein Kind tritt und es dabei verletzt, haftet der Halter gemäß § 1320 ABGB nicht, da die besondere Tiergefahr nicht verwirklicht worden ist. Verwirklicht würde die besondere Tiergefahr etwa dann, wenn das Pferd scheut oder durchgeht und dabei das Kind verletzt. Der zweite Rechtssatz ist weniger aufschlussreich, da die Klägerin kein Vorbringen dazu erstattet hat.