Ersitzung von Wassbezugsrechten

Ferdinand Bachinger
Admin | 25. Juni 2023
OGH vom 25.04.2023, 1 Ob 50/23v:
Die Kläger sind jeweils zur Hälfte Eigentümer einer Liegenschaft, die an die im Miteigentum der Beklagten stehende Liegenschaft angrenzt. Die Rechtsvorgänger der Beklagten errichteten in Absprache mit den Rechtsvorgängern der Kläger auf dem in ihrem Eigentum stehenden Grundstück einen Brunnen, mit dem die beiden Nachbargrundstücke mit Wasser versorgt werden sollten. Der Schachtbrunnen auf dem Grundstück der Beklagten weist eine Tiefe von mehr als 10 m und einen Durchmesser von ca 1 m auf; mit ihm wird der „seicht liegende Grundwasserspiegel“ genutzt. Im Brunnen sind zwei Leitungen mit jeweils einer Stromversorgung für die im Brunnen montierte Unterwasserpumpe installiert. Eine Steigleitung führt über die Liegenschaft der Beklagten zum Haus der Kläger. Die Entnahme von Wasser aus diesem Brunnen durch die Kläger und ihre Rechtsvorgänger und dessen Leitung über den nunmehrigen Grund der Beklagten erfolgte über einen Zeitraum von weit mehr als 30 Jahren und im guten Glauben, dazu berechtigt zu sein.
Die Kläger begehren die Feststellung, dass ihnen als Eigentümer des herrschenden Grundstücks und ihren Rechtsnachfolgern gegenüber den Beklagten als Eigentümern des dienenden Grundstücks und deren Rechtsnachfolgern „die Dienstbarkeit des Wasserbezuges und der Wasserleitung“ zustehe und die Beklagten schuldig seien, in die Einverleibung dieser Dienstbarkeit einzuwilligen. Soweit für das Rekursverfahren von Relevanz, brachten sie vor, es sei unrichtig, dass die Entnahme von Wasser verwaltungsrechtlich rechtswidrig sei. Daraus ergebe sich kein Ersitzungshindernis, weil die verwaltungsrechtlichen Vorschriften unabhängig von jenen des Zivilrechts zur Geltung kämen.
Das Wasserbezugs- und Wasserleitungsrecht besteht im Recht der Zu- und Ableitung von Wasser sowie der Errichtung und der Erhaltung der entsprechenden Anlagen auf eigene Kosten (§ 497 ABGB). Das Wasserbezugs- und Wasserleitungsrecht ist eine Felddienstbarkeit im Sinn des § 473 und des § 477 Z 2 ABGB.
Die fehlende wasserrechtliche Bewilligung gemäß § 10 Abs. 2 WRG hindert nicht die Ersitzung der Dienstbarkeit des Wasserbezugs- und Wasserleitungsrechts.
Ein die Ersitzung hinderndes Verbot liegt nicht schon dann vor, wenn gegen eine Bewilligungspflicht verstoßen wurde. Es ist vielmehr eine Wertungsfrage, ob ein konkreter Verstoß gegen eine Bewilligungspflicht einer rechtlich unmöglichen Nutzung gleichzusetzen ist. Das Verbot muss sich außerdem unmittelbar auf das ausgeübte Recht beziehen.
Für Privatwässer enthält das Wasserrechtsgesetz keine § 4 Abs. 6 WRG entsprechende Norm, sodass insoweit Ersitzung möglich ist. So wurde etwa bereits ausgesprochen, dass die Ersitzung des Fischereirechts, soweit es sich nicht um öffentliches Wassergut handelt, grundsätzlich möglich ist. Gleiches gilt auch für Wasserbenutzungs- und Wasserleitungsrechte an privaten Tagwässern, weil § 9 Abs. 2 WRG – der ebenfalls unter gewissen Umständen eine Bewilligungspflicht vorsieht – nicht als eine die Ersitzung hindernde Sondervorschrift anzusehen ist. Durch die Ersitzung wird nämlich nicht in fremde Rechte im Sinn dieser Gesetzesstelle eingegriffen, weil die Ersitzung als Titel zur Erwerbung einer Dienstbarkeit im Sinn des § 480 ABGB anerkannt und daher nicht widerrechtlich ist.
Nutzungsbefugnisse gemäß § 5 Abs. 2 WRG müssen nicht auf dem Eigentum am Grund beruhen, sondern können auch auf andere Titel gestützt werden. Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs anerkennt beispielsweise auch ein ersessenes Wasserbezugsrecht. Gemäß § 11 Abs. 1 WRG sind bei der Erteilung einer nach § 10 Abs. 2 WRG – wie hier – erforderlichen Bewilligung jedenfalls der Ort, das Maß und die Art der Wasserbenutzung zu bestimmen. Gemäß § 12 Abs 1 leg cit ist das Maß und die Art der zu bewilligenden Wasserbenutzung derart zu bestimmen, dass das öffentliche Interesse (§ 105 WRG) nicht beeinträchtigt und bestehende Rechte nicht verletzt werden. Nach Abs. 2 dieser Gesetzesbestimmung sind als bestehende Rechte im Sinn des Abs. 1 rechtmäßig geübte Wassernutzungen mit Ausnahme des Gemeingebrauchs (§ 8 WRG), Nutzungsbefugnisse nach § 5 Abs. 2 WRG und das Grundeigentum anzusehen. Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 WRG ist bei der Bestimmung des Maßes der Wasserbenutzung auf den Bedarf des Bewerbers sowie auf die bestehenden wasserwirtschaftlichen Verhältnisse, insbesondere auf das nach Menge und Beschaffenheit vorhandene Wasserdargebot mit Rücksicht auf den wechselnden Wasserstand, beim Grundwasser auch auf seine natürliche Erneuerung, sowie auf möglichst sparsame Verwendung des Wassers Bedacht zu nehmen.
Aus diesen Bestimmungen über die wasserrechtliche Bewilligung des Wasserbezugs- und Wasserleitungsrechts der Kläger ergibt sich kein generelles Verbot der Nutzung des Grundwassers aus dem Hausbrunnen auf der Liegenschaft der Beklagten. Vielmehr ist bei Vorliegen der Voraussetzungen eine wasserrechtliche Bewilligung durch die zuständige Wasserrechtsbehörde zu erteilen. Die fehlende wasserrechtliche Bewilligung ist demnach einer gegen zwingende öffentliche Vorschriften verstoßenden und damit rechtlich unmöglichen Nutzung nicht gleichzusetzen. Nichts anderes ergibt sich – entgegen der Ansicht der Beklagten – aus § 138 WRG.
Gemäß § 138 Abs. 1 lit. a WRG ist unabhängig von Bestrafung und Schadenersatz derjenige, der die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes übertreten hat, wenn das öffentliche Interesse es erfordert oder der Betroffene es verlangt, von der Wasserrechtsbehörde zu verhalten, auf seine Kosten eigenmächtig vorgenommene Neuerungen zu beseitigen oder die unterlassenen Arbeiten nachzuholen. Unter einer eigenmächtigen Neuerung im Sinn dieser Gesetzesstelle ist die Errichtung von Anlagen oder die Setzung von Maßnahmen zu verstehen, für die eine wasserrechtliche Bewilligung – sofern sie einer solchen überhaupt zugänglich sind – erforderlich gewesen wäre, aber nicht erwirkt wurde. Damit erfasst diese Bestimmung auch das Fehlen der wasserrechtlichen Bewilligung entsprechend § 10 Abs. 2 WRG. In diesem Fall hätte aber, sofern die Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 WRG nicht vorliegen, die Wasserrechtsbehörde gemäß Abs. 2 leg cit eine angemessene Frist zu bestimmen, innerhalb der entweder nachträglich um die erforderliche wasserrechtliche Bewilligung anzusuchen, die Neuerung zu beseitigen oder die unterlassene Arbeit nachzuholen ist. Damit wäre im Fall des § 10 Abs. 2 WRG entsprechend § 138 Abs. 2 WRG auch der Auftrag der Wasserrechtsbehörde, um eine nachträgliche wasserrechtliche Bewilligung anzusuchen, möglich. Auch diese Bestimmung spricht gegen ein die Ersitzung hinderndes allgemeines Verbot.
Unsere Meinung dazu
Durchaus interessante Entscheidung des OGH. Eine Ersitzung von Rechten ist demnach nur dann nicht möglich, wenn das zu ersitzende Recht einem gesetzlichen Verbot unterliegt. Existiert aber kein explizites Verbot - sondern etwa nur eine Bewilligungspflicht - steht der Ersitzung nichts im Wege. Diese Judikatur gilt nicht nur für Wasser- oder Wasserbenutzungsrechte, sondern generell. Interessant ist die Entscheidung vor allem deshalb, weil im Zivilrecht eher Analogien gezogen werden. In dieser Konstellation kommt aber ein aus dem Strafrecht bekanntes Prinzip zur Anwendung. Alles was nicht verboten ist, ist erlaubt.