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Unfall mit Einsatzfahrzeug

Unfall mit Einsatzfahrzeug

OGH vom 16.05.2023, 2 Ob 95/23v:
Am 16.12.2021 ereignete sich gegen 10:30 Uhr an der Kreuzung Hernalser Gürtel/Hernalser Hauptstraße ein Verkehrsunfall, bei dem das von der Klägerin gehaltene, in ihrem Eigentum stehende, im Einsatz gewesene Rettungsfahrzeug sowie das vom Erstbeklagten gelenkte und bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherte Fahrzeug beteiligt waren.

Der Lenker des Rettungsfahrzeugs fuhr mit eingeschaltetem Blaulicht auf dem Hernalser Gürtel aus Fahrtrichtung Jörgerstraße in Richtung Geblergasse und beabsichtigte, die Kreuzung mit der Hernalser Hauptstraße in gerader Richtung bei Rotlicht zu übersetzen. Er hielt hinter der Haltelinie an, um Fußgängern das Passieren des Zebrastreifens zu ermöglichen. Auf der Hernalser Hauptstraße hielten die in Fahrtrichtung Zimmermanngasse fahrenden Fahrzeuge auf dem ganz links befindlichen Geradeausfahrstreifen sowie auf dem Rechtsabbiegefahrstreifen an. Auf dem mittleren Geradeausfahrstreifen befand sich zu diesem Zeitpunkt im Kreuzungsbereich bzw im Bereich unmittelbar vor der Kreuzung kein Fahrzeug. Nachdem die Fußgänger den Schutzweg überquert hatten, ließ der Fahrer den Rettungswagen mit Schrittgeschwindigkeit vorrollen, aktivierte dabei einmal das Folgetonhorn und hielt etwa auf Höhe des (seitlichen) Beginns des linken Geradeausfahrstreifens der Hernalser Hauptstraße erneut an. Er bemerkte, dass auf diesem sowie am Rechtsabbiegestreifen noch weitere Fahrzeuge hinzugekommen waren, die alle angehalten hatten. Auf dem mittleren Fahrstreifen der Hernalser Hauptstraße hatte kein Fahrzeug angehalten. Im Sichtbereich des Rettungsfahrers befand sich auch kein Fahrzeug. Er blickte nach rechts, wobei es ihm nicht möglich war, das sich zu diesem Zeitpunkt auf der Hernalser Hauptstraße in einer Entfernung von etwa 54 m vor der späteren Kollisionsposition annähernde Beklagtenfahrzeug zu erkennen. Danach fuhr er bei Rotlicht mit mäßiger Beschleunigung in die Kreuzung ein, ohne noch einmal nach rechts zu schauen. Wenn er etwa 3 m nach dem (erneuten) Losfahren nochmals nach rechts geblickt hätte, wäre es ihm möglich gewesen, das Beklagtenfahrzeug auf dem mittleren Geradeausfahrstreifen etwa 20 m vor der späteren Kollisionsposition wahrzunehmen. Im Kreuzungsbereich kam es zur Kollision. Die Kollisionsgeschwindigkeit des Rettungsfahrzeugs betrug etwa 15 km/h. Die Kollisionsgeschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs kann nicht festgestellt werden.

Einsatzfahrzeugen kommt nach § 19 Abs. 2 StVO immer der Vorrang zu, gleichgültig woher sie kommen und wohin sie fahren. Der Lenker eines Einsatzfahrzeugs ist nach § 26 Abs. 2 StVO nicht an Verkehrsverbote oder Verkehrsbeschränkungen gebunden. § 26 Abs. 5 erster Satz StVO verpflichtet vielmehr jeden Straßenbenützer, für den das Herannahen eines Einsatzfahrzeugs erkennbar ist, diesem Platz zu machen.

Diese Vorrangregelung gilt aber nicht im Anwendungsbereich des § 26 Abs. 3 StVO. Bei einer durch Lichtzeichen geregelten Kreuzung wie im vorliegenden Fall ist § 19 StVO nicht anwendbar, weil Sondernormen bestehen, die den allgemeinen Vorrangregeln des § 19 StVO vorgehen; hier gelten die §§ 38 und 26 Abs. 3 StVO.

Gemäß § 26 Abs. 3 zweiter Satz StVO dürfen die Lenker von Einsatzfahrzeugen auch bei rotem Licht in eine Kreuzung einfahren, wenn sie vorher angehalten und sich überzeugt haben, dass sie hierbei nicht Menschen gefährden oder Sachen beschädigen.

Ausgehend von diesen rechtlichen Grundlagen, ist dem Lenker des Rettungsfahrzeugs ein Verstoß gegen § 26 Abs. 3 zweiter Satz StVO anzulasten. Zwar hielt er zunächst vor der Haltelinie gemäß § 38 Abs. 5 (iVm Abs. 1 lit. a) StVO an. Vor der Einfahrt in die Kreuzung entgegen dem Rotlicht hätte er aber sicher sein müssen (arg: „überzeugt“), die Kreuzung gefahrlos durchfahren zu können. Diese Überzeugung konnte er aber nach den Feststellungen gerade nicht gewinnen. Wie aus der dem Ersturteil integrierten Unfallskizze ersichtlich ist, hatte er in seiner (ersten) Anhalteposition vor der Haltelinie aufgrund der Verbauungssituation praktisch überhaupt keine Sicht auf den Querverkehr der Hernalser Hauptstraße, weshalb er offenkundig zunächst auch nur in Schrittgeschwindigkeit weiterrollte. Auch aus seiner zweiten Anhalteposition konnte er das sich 54 m vor der späteren Unfallstelle auf dem mittleren Geradeausfahrstreifen annähernde Beklagtenfahrzeug (noch) nicht wahrnehmen. In Anbetracht der aus mehreren Fahrstreifen bestehenden Kreuzung und der nicht ausreichenden Sicht auf den Querverkehr hätte der Lenker des Rettungsfahrzeugs daher schon von einer Weiterfahrt (Einfahrt in die Kreuzung) aus der (ersten) Anhalteposition vor der Haltelinie Abstand nehmen müssen.

Dem Erstbeklagten ist zwar kein Verstoß gegen § 26 Abs. 5 erster Satz StVO anzulasten, weil er für seine Fahrtrichtung grünes Licht hatte und davon ausgehen konnte, dass selbst Einsatzfahrzeuge das Rotlicht beachten und den Querverkehr abwarten würden. Allerdings hat der Erstbeklagte das für ihn schon aus 54 m vor der Kollisionsstelle erkennbare Blaulicht des Einsatzfahrzeugs übersehen und die unklare Verkehrslage, die sich aufgrund der angehaltenen Fahrzeuge trotz grünen Lichts ergab, nicht berücksichtigt, sodass eine Verschuldensteilung von 1 : 2 zu Gunsten der Beklagten angemessen erscheint.

Unsere Meinung dazu

Diese Entscheidung ist sehr vom Sachverhalt geprägt. Der Kfz-Sachverständige hat die Positionen der Fahrzeuge offenbar penibel genau analysiert und erkannt, dass der Lenker des Einsatzfahrzeugs den Unfall hätte verhindern können bzw. müssen. Die vom OGH angezogene Norm ist nicht umsonst. Einsatzfahrzeuge haben zwar immer Vorrang und dürfen sogar bei rotem Licht in Kreuzungen einfahren, jedoch nur mit äußerster Vorsicht. Aufs Blaulicht verlassen darf man sich jedenfalls nicht. Diese Wertung ist vollkommen richtig, da sich der restliche Verkehr auf das grüne Licht verlässt und nur im Ausnahmefall davon abgegangen werden soll.