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Schutzbereich einer Fußgängerzone

Schutzbereich einer Fußgängerzone

OGH vom 20.04.2023, 2 Ob 61/23v:
Am 29. März 2021 ereignete sich gegen 13:45 Uhr ein Verkehrsunfall in Götzis zwischen dem zum Unfallzeitpunkt sechsjährigen Kläger auf Inlineskates und einem vom Erstbeklagten gelenkten, vom Zweitbeklagten gehaltenen und bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten LKW Mercedes Sprinter. Die Unfallstelle liegt drei Meter außerhalb (nördlich) einer Fußgängerzone. Aus Fahrtrichtung des Erstbeklagten gesehen von rechts mündet an der Unfallstelle ein (in Richtung der Fahrbahn gesehen abschüssiger) asphaltierter Zugangsweg zu einer Wohnhausanlage ein.

Unmittelbar vor dem Unfall durchfuhr der Erstbeklagte von Süden kommend eine Fußgängerzone, die nur zwischen 5:00 und 10:00 Uhr morgens zur Durchführung von Ladetätigkeiten befahren werden darf. Dass der Erstbeklagte über eine Ausnahmegenehmigung zum Befahren der Fußgängerzone verfügt hätte, kann nicht festgestellt werden. Der Erstbeklagte setzte nach Abschluss seiner Liefertätigkeit die Fahrt durch die restliche Fußgängerzone fort, wobei er noch innerhalb der Fußgängerzone auf 20 km/h beschleunigte und kurz vor der Unfallstelle einen Seitenabstand von 1,5 Metern zu den (aus seiner Sicht rechts befindlichen) Gebäuden einhielt. Der Erstbeklagte hatte bei Annäherung keine Sicht in den Zugangsweg; es befanden sich keine spielenden Kinder in seinem Sichtbereich.
Der Kläger konnte den vom Erstbeklagten befahrenen Bereich ebenfalls nicht einsehen. Er hielt im Bereich der Kreuzung des Zugangswegs mit der Fahrbahn nicht an, sondern fuhr in einem Zug mit 10 bis 15 km/h ein.
Der Erstbeklagte nahm den Kläger erstmals 1,5 Sekunden vor der Kollision wahr und konnte keine wirksame Abwehrmaßnahme mehr setzen, sodass es zum Zusammenstoß zwischen der Vorderfront des Fahrzeugs und dem Kläger kam.

Die Widmung eines innerstädtischen Bereichs als Fußgängerzone bedeutet, dass dieser Bereich nach Möglichkeit von jedem Fahrzeugverkehr freigehalten werden und primär der Benützung durch Fußgänger dienen soll. Im Bereich der Fußgängerzone ist – wenn überhaupt – nur mit geringem Fahrzeugverkehr zu rechnen. § 76a StVO normiert also für den Bereich einer Fußgängerzone ein Verbot jeglichen Fahrzeugverkehrs, sofern nicht einer der (eng gehaltenen) Ausnahmefälle des § 76a StVO vorliegt.

Der sich aus § 76a (Abs. 1) StVO ergebende, weitgehende Ausschluss jeglichen Fahrzeugverkehrs in der Fußgängerzone soll – einem allgemeinen Fahrverbot gleich – umfassend vor allen Gefahren schützen, die durch das Befahren der Verkehrsfläche mit Fahrzeugen (sofern diese nicht ausnahmsweise zulässig einfahren) verursacht oder erhöht werden können. In diesem Fall ist der in der Revisionsbeantwortung erhobene, zu beschränkten Fahrverboten entwickelte Einwand, dass sich der Unfall mit einem berechtigten Benützer in gleicher Weise ereignet hätte, nicht möglich.

Der OGH hat bereits ausgesprochen, dass es nicht entscheidend auf die Frage ankommt, ob die Kollisionsstelle innerhalb oder knapp außerhalb des vom allgemeinen Fahrverbot umfassten Abschnitts liegt, sofern nur feststeht, dass der das Fahrverbot Verletzende die Unfallstelle nur unter Missachtung des Fahrverbots erreichen konnte.

Dieser Gedanke kann auch auf den vorliegenden Fall übertragen werden. Der Erstbeklagte konnte die im unmittelbaren räumlichen Nahebereich zum Ende der Fußgängerzone liegende Unfallstelle – die Front des LKW befand sich (nur) drei Meter jenseits des Hinweiszeichens nach § 53 Abs. 1 Ziff. 9b StVO – in Fahrtrichtung Norden nur aufgrund des unzulässigen Befahrens der Fußgängerzone erreichen. Für den am Zugangsweg rollschuhfahrenden Kläger war der sich aus Richtung Süden nähernde LKW des Erstbeklagten überdies nur eingeschränkt wahrnehmbar. Bei dieser Sachlage ist der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen dem unzulässigen Befahren der Fußgängerzone und dem Unfall zu bejahen.

Die Anordnung des Fahrens von Schrittgeschwindigkeit dient erkennbar der Verhinderung jeglicher Gefährdung von Fußgängern. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der für einen bestimmten Bereich festgesetzten Höchstgeschwindigkeit und einem außerhalb dieses Bereichs erfolgten Verkehrsunfall zu verneinen. Allerdings hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass dieser Grundsatz dann nicht gilt, wenn sich der Unfall so knapp außerhalb des Ortsgebiets ereignet, dass sich das beteiligte Fahrzeug noch großteils im Ortsgebiet befindet. Ob sich die zuletzt gemachten Überlegungen auch auf den hier zu beurteilenden Fall übertragen lassen, kann dahingestellt bleiben, weil jedenfalls der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen dem Verstoß gegen § 76a Abs. 1 StVO und dem Unfall zu bejahen ist. Da dem Erstbeklagten auf dieser Grundlage ein Verschulden am Zustandekommen des Verkehrsunfalls anzulasten ist, erübrigen sich nähere Ausführungen zum Entlastungsbeweis nach § 9 EKHG.

Der Kläger war zum Unfallzeitpunkt auf Inlineskates unterwegs. Als Rollschuhfahrer hatte er nach § 88a Abs. 3 letzter Satz StVO – weil sich der Unfall außerhalb einer Radfahranlage ereignete – die für Fußgänger geltenden Vorschriften, damit insbesondere § 76 StVO, zu beachten. Gegen § 76 Abs. 1 und 4 lit. b StVO hat der Kläger durch das überraschende und andere Straßenbenützer gefährdende Queren der Fahrbahn in objektiver Hinsicht verstoßen. Die für Fahrzeuge geltende Bestimmung des § 19 StVO hatte der Kläger, der als Rollschuhfahrer nicht als Fahrzeuglenker anzusehen ist, hingegen nicht zu beachten.

Die Verantwortlichkeit von Unmündigen – also Personen unter vierzehn Jahren (§ 21 Abs. 2 ABGB) – ist unter Berücksichtigung des Maßes an Einsicht, das bei ihnen zur Zeit des Unfalls vorhanden war, und der Art ihres für den Unfall ursächlichen Verhaltens in jedem Einzelfall zu prüfen. Bei Feststellung ihres Verschuldens ist zu berücksichtigen, ob und inwieweit nach Alter und geistiger Entwicklung des Unmündigen das Verhalten als Verschulden angerechnet werden kann. Gegen einen Verschuldensvorwurf sprechen fehlendes Lebensalter, fehlende Lebenserfahrung und die Ausübung des Spieltriebs. Bei Kindern unter sieben Jahren, die – insbesondere aus Spieltrieb – nicht auf den Verkehr achten, hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach die Annahme eines Mitverschuldens als nicht sachgerecht angesehen. Ein rund 6 1/2-jähriges Kind, das auf die Fahrbahn gelaufen war, trifft kein Verschulden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger wegen der unmittelbaren Nähe zur Fußgängerzone nicht unbedingt mit sich von (aus seiner Sicht) links (mit 20 km/h) annähernden Fahrzeugen rechnen musste, auf die er außerdem wegen der vorhandenen Gebäude keine Sicht hatte.

Unsere Meinung dazu

Das Erstgericht hat der Klage dem Grunde nach stattgegeben, das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Der OGH hats wieder umgedreht. Ein Musterbeispiel dafür, was einem in den Mühlen der österreichischen Justiz passieren kann. Drei Gerichte, drei ziemlich verschiedene Meinungen. Sehr unbefriedigend. Im Ergebnis hat der OGH recht, schade nur, dass die Unterinstanzen so schleissig gearbeitet haben. Die Judikatur ist eindeutig, man müsste sie nur lesen. Wenn man verbotenerweise eine Fußgängerzone befährt, muss man sich auch im unmittelbaren Anschluss daran deren Schutzwirkungen (in vollem Umfang) gefallen lassen. Dass Kinder (6 Jahre) vom Vertrauensgrundsatz ausgenommen sind und ihnen nur selten ein (Mit)verschulden unterstellt werden kann, dürfte auch kein Geheimnis sein.