Amtshaftung und Bürgermeister

Ferdinand Bachinger
Admin | 14. Mai 2023
OGH vom 21.03.2023, 1 Ob 35/23p:
Der Bürgermeister der beklagten Marktgemeinde erteilte zwei Bauwerbern mit Bescheid vom 24. 1. 2019 die Baubewilligung für das – soweit hier von Interesse –Bauvorhaben „Umbau und Erweiterung des bestehenden Rinderstalls mit darunterliegendem Güllekeller“. Unter anderem sollte nördlich des Rinderstalls ein eingeschoßiger Zubau errichtet werden, wofür die nördliche Außenwand des Stalls vollständig abgetragen werden sollte. Im Zuge der Bauausführung wurde aber nicht nur diese Wand abgetragen, sondern auch die Dachkonstruktion des Altbaus vollständig entfernt, die östliche und die südliche Außenwand des Altbaus vollständig abgetragen und (letztere um 23 cm nach außen versetzt) neu errichtet sowie die westliche Außenwand teilweise abgetragen und neu errichtet. Diese – in den Einreichplänen nicht projektierten – Abbrüche erfolgten im Herbst/Winter 2019. Mit Eingabe vom 31. 10. 2019 zeigten die Bauwerber an, dass das Bauvorhaben inzwischen im selbstständig benutzbaren Teil „Erweiterung des bestehenden Rinderstalls mit darunterliegendem Güllekeller“ fertiggestellt sei. Nachdem den Bauwerbern mit Mandatsbescheid vom 9. 1. 2020 die Fortsetzung der Bauausführung bezogen auf die Errichtung der Dachkonstruktion untersagt worden war, beantragten sie am 10. 1. 2020 die Erteilung der Baubewilligung für das Bauvorhaben „Abänderungsplan zum ursprünglich genehmigten Projekt: Umbau und Erweiterung des bestehenden Rinderstalls“. Mit Bescheid des Bürgermeisters vom 3. 3. 2020 wurde das Bauvorhaben „Geringfügige Abänderung zum ursprünglich genehmigten Projekt sowie die Neuerrichtung der Heubergehalle“ bewilligt. Über Beschwerde der Kläger, die je zur Hälfte Eigentümer einer von den Baugrundstücken weniger als 50 m entfernten Liegenschaft sind (§ 31 Abs 1 OÖ BauO 1994), wies das OÖ LVwG den Antrag der Bauwerber in der Folge ab. Dabei ging es davon aus, dass die Baubewilligung für den Rinderstall durch den nahezu vollständigen Abbruch untergegangen sei. Mangels eines konsentierten Baus (Rinderstall), zu dem der Zubau erfolgen könnte, könne die auf Zu- und Umbau beschränkte Baubewilligung vom 24. 1. 2019 rechtmäßig nicht konsumiert werden. Im Ergebnis könne daher weder die beantragte Abweichung vom „ursprünglich genehmigten Projekt“ noch ein Zu- oder Umbau bewilligt werden. Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision der Bauwerber wies der VwGH gemäß § 34 Abs 1 VwGG zurück.
Die Kläger begehren aus dem Titel der Amtshaftung den Ersatz der ihnen in den Verfahren vor dem LVwG und VwGH entstandenen Kosten, der Kosten für Privatgutachten und Zeitversäumnis sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für derzeit noch nicht bekannte Schäden. Die Rechtsansicht des Bürgermeisters der Beklagten zur Frage des Abrisses des den Grundkonsens darstellenden Gebäudes und zur Frage des Untergangs des Grundkonsenses sei unvertretbar gewesen.
Amtshaftung für ein rechtswidriges Verhalten tritt nur dann ein, wenn es schuldhaft ist. Eine bei pflichtgemäßer Überlegung aller Umstände vertretbare Rechtsanwendung mag zwar rechtswidrig sein, stellt aber kein Verschulden im Sinne dieser Gesetzesbestimmung dar. Die Prüfung der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung als Verschuldenselement ist ganz von den Umständen des Einzelfalls abhängig und entzieht sich deshalb regelmäßig einer Beurteilung als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs. 1 ZPO. Eine solche liegt im Allgemeinen nur dann vor, wenn eine gravierende Fehlbeurteilung in der Einstufung einer Rechtsansicht als (un-)vertretbar durch die Instanzen im Amtshaftungsverfahren erfolgte. Das ist hier nicht der Fall.
Die Behauptung, der Bürgermeister habe die Erweiterung des Rinderstalls als eigenständiges Gebäude (das sind nach § 2 Abs 2 OÖ BauO 1994 iVm § 2 Z 12 OÖ BauTG 2013 „überdeckte, allseits oder überwiegend umschlossene Bauwerke, die von Personen betreten werden können“) angesehen, ist nicht nachvollziehbar, weil ja nach den Projektunterlagen der Anschluss an den Stall durch vollständigen Abbruch der nördlichen Stallmauer erfolgen sollte.
Entscheidend ist, dass die Rechtsansicht des Bürgermeisters einem Rechtsmissbrauch der Normunterworfenen Tür und Tor öffnen würde, weil durch die – im Zuge eines einzigen Baubewilligungs- bzw Projektgenehmigungsverfahrens erfolgte – Errichtung eines (bewilligten) Zubaus zu einem bereits bestehenden Gebäude, den darauf folgenden Abriss des Altbestands und dessen Neuerrichtung sowie durch die anschließende Bewilligung dieses Neubaus als Zubau (zum eigentlichen Zubau) die Rechtsfolge des § 38 Abs. 7 OÖ BauO 1994 und die Voraussetzungen für die Errichtung eines Neubaus umgangen werden könnten. Die Errichtung eines Zubaus iSd § 2 Abs. 2 OÖ BauO 1994 iVm § 2 Ziff. 32 OÖ BauTG 2013 unmittelbar vor dem Abbruch des bestehenden (und dadurch zu vergrößernden) Gebäudes könnte so das durch den Abbruch bedingte Erlöschen des Grundkonsenses verhindern, was dem Gesetz aber nicht unterstellt werden kann. Wie die Außerachtlassung dieses Aspekts eine pflichtgemäße Überlegung aller Umstände im Sinne der Judikatur zur Vertretbarkeit begründen könnte, legt die Revision nicht dar..
Unsere Meinung dazu
Üblicherweise geht der OGH sehr sparsam damit um, Behörden eine unvertretbare Rechtsansicht zuzudenken. Nicht so hier. Unklar ist, ob der Bauwerber den Bürgermeister täuschen wollte oder der Bürgermeister tatsächlich einen Fehler gemacht hat. Die Verantwortung oder Ausrede des Bürgermeisters war jedenfalls falsch und zwar unvertretbar falsch. Wenn jemand etwas neu baut, dann muss er auch die Vorschriften für einen solchen Neubau einhalten. Einen rechtlich unhaltbaren Neubau über einen "Zubau" sanieren zu wollen, ist falsch und eigentlich wenig clever. Der OGH und die Unterinstanzen haben das erkannt und die Republik zur Leistung von Schadenersatz verurteilt.