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Wegehalterhaftung

Räum- und Streupflicht, Wegehalterhaftung

OGH vom 16.12.2022, 8 Ob 122/22g:
Am Morgen des 4. 12. 2020 lag auf der Unteren Gasse eine wenige Zentimeter hohe Schneedecke, außerdem gab es Eisplatten. Der Kläger ging vormittags von seiner Haushälfte weg durch seinen Garten und über die erwähnten Stiegen in die Untere Gasse, um die dort befindliche Müllsammelstelle aufzusuchen. Er sah, dass die Fahrbahn schneebedeckt und teilweise nicht geräumt war. Er ging auf der hangabwärts gesehen rechten Seite an der Grenze eines noch unbebauten Grundstücks entlang auf einer Stelle, die ein Anrainer von Schnee geräumt, aber nicht bestreut hatte. Nach wenigen Schritten kam der Kläger auf einer Eisplatte zu Sturz und zog sich Verletzungen zu.

Für die gesetzliche Verpflichtung zur Besorgung des Winterdienstes für einen öffentlichen Weg kommen grundsätzlich sowohl § 1319a ABGB als auch § 93 Abs 1 StVO in Betracht, die sich an unterschiedliche Normunterworfene wenden und unterschiedliche Haftungsmaßstäbe festlegen.
Nach § 1319a ABGB ist es der Halter des Wegs, der für dessen Zustand verantwortlich ist, gemäß § 93 Abs 1 StVO sind es – nur für einen eingeschränkten räumlichen Bereich – die Eigentümer angrenzender Grundstücke im Ortsgebiet. Diese beiden Verpflichtungen bestehen nebeneinander und können jeweils rechtsgeschäftlich auf Dritte überbunden werden.

Die Unterlassung jedweder Vorkehrung zur Erfüllung der winterlichen Wegehalterpflichten, sei es durch eigene Initiative oder wenigstens irgendeine Kontrolle der Ausführung durch die Mitverpflichteten, stellt eine auffallende Sorglosigkeit dar, bei der die gebotene Sorgfalt nach den Umständen des Falls in ungewöhnlicher Weise verletzt wurde.

Ob die nach § 1319a ABGB vorwerfbare, grob schuldhafte Unterlassung der Beklagten für den Unfall kausal war, lässt sich anhand des festgestellten Sachverhalts aber noch nicht endgültig beantworten, weil ihm nicht mit hinreichender Klarheit zu entnehmen ist, wo genau der Kläger gestürzt ist.

Sollte sich herausstellen, dass die Unfallstelle auf einem schon nach § 93 Abs 1 StVO von den Anrainern zu räumenden und streuenden Randstreifen lag, wäre die eigene Haftung der Beklagten nach § 1319a ABGB zu verneinen, weil sie an der mangelhaften Ausführung des Winterdienstes in diesem Bereich keine grobe Fahrlässigkeit trifft. Lag die Unfallstelle aber außerhalb dieses Bereichs, wäre die Haftung der Beklagten dem Grunde nach zu bejahen.

Unsere Meinung dazu

Wenn mehrere für den Winterdienst verantwortlich sind, müssen sie sich gegenseitig überwachen, widrigenfalls eine auffallende Sorglosigkeit und damit ein grobes Verschulden vorliegt. Dies gilt allerdings nur für den "öffentlichen" Teil eines Weges. Dort wo die Anrainer für den Winterdienst zuständig sind (ein Meter breiter Streifen entlang der Anrainerliegenschaft), kann sich der Wegehalter aber auf die Anrainer verlassen. Dort hat er kein Verschulden zu vertreten.
Die Ausführungen des OGH sind recht feinsinnig, im Ergebnis aber schlüssig und richtig. Zudem reicht für ein Verschulden der Anrainer bereits leichte Fahrlässigkeit, wohingegen der Wegehalter erst bei grober Fahrlässigkeit haftet. Wenn man also im Winter auf einem Weg stürzt, sollte das auf dem ein Meter breiten Streifen passieren, für den die Anrainer zuständig sind. Dort erstreitet man sich ein angemessenes Schmerzengeld unter Umständen leichter als mitten auf dem Weg.