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Scheinselbständige Fahrer

Scheinselbständige Fahrer für Zeitungstransporte

VwGH vom 10.11.2022, Ra 2019/08/0071:
Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde (im Folgenden: Kasse) führte bei der Revisionswerberin eine gemeinsame Prüfung lohnabhängiger Abgaben (GPLA) für die Jahre 2007 bis 2013 durch. Laut dem von der Kasse im August 2014 erstatteten Prüfbericht habe die Revisionswerberin im Prüfzeitraum 46 Personen (nämlich die 3. bis 48. Mitbeteiligten) als Fahrer für Zeitungstransporte beschäftigt, ohne die Fahrer ordnungsgemäß als Dienstnehmer bei der Kasse anzumelden und entsprechende Beiträge (samt Umlagen und Zuschlägen) zu entrichten, was zu einer (näher erörterten) Nachverrechnung führe.

Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen, die Fahrer hätten ihre Tätigkeit im Rahmen von (abhängigen) Dienstverhältnissen erbracht.
Die Fahrer habe eine persönliche Arbeitspflicht getroffen, zumal ihnen kein generelles Vertretungsrecht (gegen ein solches sprächen die erforderliche Einschulung eines allfälligen Vertreters, die Verpflichtung zur Geheimhaltung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen sowie der Umstand, dass eine derartige Befugnis nicht „gelebt“ worden sei) und auch kein sanktionsloses Ablehnungsrecht zugekommen sei.

Was die persönliche Abhängigkeit betreffe, so seien in erster Linie die Bindungen an Ordnungsvorschriften über den Arbeitsort, die Arbeitszeit und das arbeitsbezogene Verhalten sowie die sich darauf beziehenden Weisungs- und Kontrollbefugnisse unterscheidungskräftige Kriterien. Habe sich die Arbeitserbringung (trotz allfälliger Ungebundenheit hinsichtlich Arbeitszeit und Arbeitsort) letztlich doch im Kern an den Bedürfnissen des Dienstgebers orientiert, so spreche dies für ein Verhältnis persönlicher Abhängigkeit. Fallbezogen habe sich die Arbeitserbringung im Kern jedenfalls an den betrieblichen Erfordernissen der Revisionswerberin orientiert, zumal enge zeitliche Vorgaben für die Übernahme und Auslieferung der Zeitungen bestanden hätten. Die Einhaltung der Vorgaben sei auch durch den Ehemann und eine Mitarbeiterin überwacht worden, eine schuldhafte Pflichtverletzung hätte zur Vertragsauflösung führen können. Ein Freiraum für eine selbständige unternehmerische Gestaltung der Lieferpflichten durch die Fahrer habe daher nicht bestanden. Ein weiteres wesentliches Kriterium stellten die Weisungsgebundenheit und Kontrollunterworfenheit der Fahrer dar. Ihre Tätigkeit sei - etwa durch Vorgaben des äußeren Zeitrahmens, der Anwesenheit ab Indrucknahme etc. - genau festgelegt und die Einhaltung kontrolliert worden. Die Fahrer hätten daher keine Möglichkeit gehabt, den Ablauf der Arbeit selbst zu gestalten. Dies alles spreche für eine Einbindung der Fahrer in die Betriebsorganisation der Revisionswerberin und für das Vorliegen einer persönlichen Abhängigkeit.

Was die wirtschaftliche Abhängigkeit anbelange, so sei diese die zwangsläufige Folge der persönlichen Abhängigkeit. Davon abgesehen habe die Revisionswerberin den Fahrern ihren Fuhrpark zur Verfügung gestellt. Soweit die Fahrer zum Teil auch die Privat-PKW verwendet hätten, seien diese nicht unter den Begriff der wesentlichen eigenen Betriebsmittel zu subsumieren, zumal eine Anschaffung mit der Zielsetzung, damit in erster Linie die Arbeitspflichten gegenüber der Revisionswerberin zu erfüllen, nicht hervorgekommen sei.

Dass die Fahrer aufgrund der Anforderungen der übernommenen Tätigkeit den Ablauf der Arbeit nicht selbst regeln konnten, spricht fallbezogen sehr wohl für eine Einbindung in die Betriebsorganisation der Revisionswerberin. In dem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach der hg. Rechtsprechung bei Vorliegen einer Eingliederung in eine betriebliche Ablauforganisation und Ausführung einfacher manueller Tätigkeiten, die in Bezug auf die Arbeitsausführung keinen ins Gewicht fallenden Gestaltungsspielraum des Arbeitnehmers erlauben, in der Regel von einer persönlichen Abhängigkeit auszugehen ist.

Unsere Meinung dazu

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner grenzenlosen Weisheit ein weiteres Abgrenzungskriterium zwischen Selbständigen und echten Dienstnehmern erkannt. Eine Einbindung in die Betriebsorganisation des Auftraggebers soll demnach schon dann vorliegen, wenn Zeitungstransporteure einfache manuelle Tätigkeiten ausüben, die keinen wesentlichen Gestaltungsspielraum des Arbeitnehmers erlauben. Diese Aussage des VwGH ist zwar ein wenig aus dem Zusammenhang gerissen, das Höchstgericht hat sie aber zur finalen Begründung herangezogen. Das untergeordnete Verwaltungsgericht hatte noch ganz anders argumentiert und zwar, dass die Zeitungstransporteure nicht frei vertreten werden können, weil Vertreter eingeschult werden müssen (auch das spräche für ein echtes Dienstverhältnis). Dagegen nimmt der VwGH nur eine simple manuelle Tätigkeit an, die wohl keine Einschulung braucht. Also was nun? Das Gesetz unterscheidet zwischen freien und echten Dienstnehmern und Selbständigen. Der VwGH offenbar nicht (mehr). Es sieht jedenfalls so aus, als gäbe es nur noch echte Dienstnehmer. Man fragt sich schon, warum das Gesetz diese Unterscheidung sehr wohl kennt, die Gerichte aber nicht. Das ärgerliche ist, dass die Gerichte so diametral argumentieren, dass man im Prinzip nur verlieren kann. Hier ist der Gesetzgeber gefragt. Die Kriterien für die Abgrenzung von Dienstnehmern und Selbständigen sollten im Gesetz klar definiert werden. Dass der Gesetzgeber das durchaus kann, sieht man im Steuerrecht...