Geruchsbelästigung durch Schweinehaltung
Ferdinand Bachinger
Admin | 18. Dezember 2022
OGH vom 28.04.2020, 1 Ob 62/20d:
[...] Die Erst- und der Zweitbeklagte betrieben seit 1957 einen Bauernhof auf ihrer Liegenschaft. Damals hielten sie 30 Schweine und rund 15 Rinder. 1966 wurde auf dem Grundstück ein weiterer Stall errichtet, der für 20 Rinder und 80 Schweine konzipiert war. Nach der Inbetriebnahme hielten „die Beklagten“ 20 bis 30 Zuchtsäue, die im Altstall untergebracht waren. 1977 verkauften „die Beklagten“ die von ihnen gehaltenen Rinder und stellten auf einen Schweinebetrieb um. Ab diesem Zeitpunkt wurden durchschnittlich rund 20 Zuchtsäue und 180 Mastsäue gehalten. Seit 2015 reduzierten „die Beklagten“ die Anzahl der Zuchtsäue.[...]
Die Kläger begehren, dass die Beklagten Geruchsimmissionen durch Schweinehaltung unterlassen, soweit „dadurch das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschritten wird“ oder diese Geruchsimmissionen gesundheitsschädigend sind. Sie seien durch die Tierhaltung der Beklagten Geruchsimmissionen ausgesetzt, die an Konzentration nach den örtlichen Verhältnissen das gewöhnliche Maß bei weitem überschritten und die ortsübliche Benutzung ihres Grundstücks wesentlich beeinträchtigten und nahezu unmöglich machten. Die Beeinträchtigung sei so stark, dass eine gesundheitsgefährdende Situation vorliege. Von der Liegenschaft der Beklagten komme es das ganze Jahr über zu diesen Immissionen; insbesondere im Sommer 2015 hätten sie durch eine lang andauernde Hitzeperiode ein absolut untragbares Ausmaß erreicht. Die Wiederholungsgefahr sei evident. Ihnen sei zum Zeitpunkt der Errichtung ihres Hauses die Gesundheitsschädlichkeit der Geruchseinwirkungen nicht bekannt und erkennbar gewesen; vielmehr seien sie davon ausgegangen, dass von einem Bauernhof keine gesundheitsschädigenden Immissionen ausgehen.[...]
Bei der Beurteilung, ob eine wesentliche Beeinträchtigung der ortsüblichen Benutzung der Liegenschaft der Kläger vorliegt, ist nicht auf die besondere Empfindlichkeit der betroffenen Personen, sondern auf das Empfinden eines „Durchschnittsmenschen“ in der Lage des Beeinträchtigten abzustellen. Der nach dem Nachbarrecht gebotene sozialrelevante Interessenausgleich erfordert, die Frage nach der Wesentlichkeit der Beeinträchtigung vom Standpunkt eines verständigen Durchschnittsmenschen aus zu beantworten, der auf die allgemeinen Interessen und gesellschaftlich bedeutsamen Gesichtspunkte wenigstens auch Bedacht nimmt. Es kommt also nicht auf die individuelle Person des mehr oder minder sensiblen Nachbarn, sondern auf das Empfinden des Durchschnittsmenschen an, der sich in der Lage des Gestörten befindet.
Nach der Rechtsprechung zu § 364 Abs 2 ABGB findet die Ortsüblichkeit aber dort ihre Grenzen, wo die Benutzung der Nachbarliegenschaft so weit beeinträchtigt ist, dass es zu Personenschäden kommt. Derartige Immissionen müssen grundsätzlich immer untersagbar sein. So wie aber bereits bei der Beurteilung, ob die ortsübliche Nutzung der Liegenschaft wesentlich beeinträchtigt ist, nicht auf eine besondere Empfindlichkeit der betroffenen Person, sondern auf das Empfinden eines durchschnittlichen Bewohners des betroffenen Grundstücks abzustellen ist, also auf das subjektive Empfinden eines Durchschnittsmenschen in der Lage des Gestörten, ist auch im Zusammenhang mit der Haftung für gesundheitsschädigende Immissionen nicht auf eine besondere Sensibilität der Nachbarn Bedacht zu nehmen. Eine solche Sensibilität kann für sich allein nicht zum Anlass genommen werden, die Einwirkung gänzlich zu untersagen. Vielmehr kommt es darauf an, dass die Immission überhaupt – und nicht nur für übersensible Menschen – gesundheitsgefährdend bzw gesundheitsbeeinträchtigend ist. Dafür trifft die betroffenen Nachbarn die Beweislast.
Von diesen Grundsätzen ging das Berufungsgericht im Ergebnis aus, auch wenn es meint, es könne die Ansicht, wonach eine Einwirkung nicht als ortsüblich beurteilt werden könne, wenn sie die Gesundheit der davon betroffenen Menschen ganz allgemein gefährde, in dieser Allgemeinheit nicht teilen. Die höchstgerichtliche Rechtsprechung (7 Ob 286/03i; 1 Ob 6/99k = SZ 72/205) geht aber davon aus, dass eine Einwirkung, die die Gesundheit davon betroffener Menschen ganz allgemein gefährdet, nicht als ortsüblich beurteilt werden kann. Das Berufungsgericht legte dieser Rechtsprechung in seiner Beurteilung ein verfehltes Verständnis zugrunde. Zutreffend zeigt es aber auf, dass die erstinstanzliche Feststellung, die Immissionen seien „abstrakt gesundheitsschädigend“ für die abschließende rechtliche Beurteilung nicht ausreichend aussagekräftig ist. Aus dieser Feststellung ergibt sich nicht, ob lediglich die Möglichkeit einer Gesundheitsgefährdung für besonders anfällige oder sensible Personen besteht oder ob darunter – wie maßgeblich – eine allgemeine, jedermann treffende Gefährdung seiner Gesundheit zu verstehen ist und wie sich diese auswirkt; es ist auch nicht ausreichend klar, ob physische oder psychische Schäden zu befürchten sind. Dass in diesem Zusammenhang Feststellungen fehlen, zeigen die Kläger selbst auf, wenn sie dazu im Rekurs ergänzende Feststellungen verlangen. Steht aber eine konkret drohende Gesundheitsschädigung weder dem Grunde noch der Art nach fest, kann die Sache entgegen der Auffassung der Rekurswerber auch nicht deshalb spruchreif sein, weil durch § 16 ABGB und Art 2 EMRK ein absolutes Persönlichkeitsrecht auf körperliche Integrität und Gesundheit begründet werde.[...]
Unsere Meinung dazu
Egal ob Lärm, Geruch, Licht, Strahlung oder sonst welche Einwirkungen von Schadstoffen, Nachbarn müssen Einwirkungen akzeptieren, soweit sie die Nutzung ihrer Liegenschaft nicht wesentlich beeinträchtigen und ortsüblich sind. Gesundheitsschädliche Einwirkungen muss man sich in der Regel nicht gefallen lassen. Hierbei ist der Maßstab aber nicht das subjektive Empfinden der Nachbarn, sondern das eines Durchschnittsmenschen in der Situation des Betroffenen.
Oft ist es so, dass Nachbarn eine fast schon pathologische Empfindlichkeit gegenüber Immissionen und dementsprechend krankheitswerte Symptome entwickeln. Diese Leute werden also tatsächlich krank durch die Schadstoffeinwirkungen. Eigentlich ein Fall für eine Untersagung. Nicht so der OGH... Krankheitswert bzw. gesundheitsschädigend sind Einwirkungen nur dann, wenn sie einen Durchschnittsmenschen krank machen (würden). Spezielle Empfindlichkeiten sind dabei nicht zu berücksichtigen. Diese Linie überzeugt. Würde das Gesetz auf jede Empfindlichkeit Rücksicht nehmen, wäre überhaupt nicht mehr vorhersehbar, welche Einwirkungen zumutbar sind und welche nicht. Beispielsweise Kindergärten wären dann den Unterlassungsansprüchen ruhesuchender Pensionisten schutzlos ausgesetzt. Das kann und soll nicht sein.