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Immissionen durch Tabakrauch

Immissionen durch Tabakrauch

OGH vom 13.08.2025, 6 Ob 155/24y:
[1] Die Kläger sind Miteigentümer einer Liegenschaft in Hollabrunn und bewohnen dort ein in ihrem Wohnungseigentum stehendes einstöckiges Reihenhaus mit Balkon und Garten. Die Beklagte ist Alleineigentümerin der direkt an das von den Klägern bewohnte Reihenhaus angrenzenden Nachbarliegenschaft. Auf dieser hat sie ein Mehrparteienhaus mit sechs Wohneinheiten errichtet, welche sie vermietet. An das Reihenhaus der Kläger grenzen im Ober- und im Erdgeschoß jeweils eine Wohnung der Beklagtenliegenschaft an. Von der östlichen Balkonkante der Obergeschosswohnung der Beklagtenliegenschaft zum Balkon der Kläger ergibt sich eine Distanz von ca 3 m. Der Abstand zwischen der Terrassentür der Klagsliegenschaft im Erdgeschoß zum Zaun an der Grundstücksgrenze zur Beklagtenliegenschaft beträgt ca 5,4 m. Die weiteren Wohnungen der Beklagtenliegenschaft sind vom Reihenhaus der Kläger zwischen 6 m und 18 m entfernt.

[2] Die Kläger begehren (soweit im Revisionsverfahren noch relevant) die Unterlassung der von den Bewohnern der Liegenschaft der Beklagten ausgehenden Rauchimmissionen, die durch das Rauchen von Zigaretten oder vergleichbaren Produkten bei offenem Fenster, auf dem Balkon, auf der Terrasse oder im Garten entstehen, für die Dauer konkret angeführter Zeiträume.

[3] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

[4] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Eine ortsunübliche und die Nutzung der klägerischen Liegenschaft wesentlich beeinträchtigende Störung liege nicht vor. Es ließ die ordentliche Revision zu, weil es nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 2 Ob 1/16k möglich erscheine, dass eine zeitliche Beschränkung hinsichtlich bestimmter Immissionen auch dann festzulegen sei, wenn diese zwar nur geringfügig seien und nur gelegentlich, jedoch unvermutet und für den Beeinträchtigten spontan auftreten.

Rechtliche Beurteilung
[5] Die Revision ist – ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruchs des Berufungsgerichts – nicht zulässig. Weder in der Zulassungsbegründung noch in der Revision wird eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt:

[6] 1.1. Zu den Kernaufgaben des Sachverständigen gehört es, aufgrund der einschlägigen Fachkenntnisse jene Methode auszuwählen, die sich zur Klärung der nach dem Gutachtensauftrag jeweils maßgebenden strittigen Tatfrage am besten eignet (RS0119439). Besteht – wie hier – keine als einzige gesetzlich vorgeschriebene Methode, so unterliegt das von den Tatsacheninstanzen gebilligte Ergebnis eines Gutachtens keiner Nachprüfung durch den Obersten Gerichtshof, weil es um eine Tatfrage geht (3 Ob 246/18z; RS0118604).

[7] 1.2. Die Frage, ob ein Sachverständigengutachten schlüssig und nachvollziehbar ist und die von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen rechtfertigt, gehört zur Beweiswürdigung und ist im Revisionsverfahren ebenfalls nicht überprüfbar (RS0043320 [T8, T12, T14, T21]; RS0043163). Auch Überlegungen bezüglich vermeintlicher Widersprüche zwischen gerichtlichen und privaten Sachverständigengutachten sowie die Fragen, ob ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt werden soll oder eines Vorgehens nach § 362 Abs 2 ZPO, gehören zur nicht revisiblen Beweiswürdigung (RS0043320 [T14]; RS0113643).

[8] 2.1. Nach § 364 Abs 2 ABGB kann der Eigentümer eines Grundstücks dem Nachbarn die von dessen Grund ausgehenden Einwirkungen durch Abwässer, Rauch, Gase, Wärme, Geruch, Geräusch, Erschütterung und ähnliche insoweit untersagen, als sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigen. Beide Kriterien müssen kumulativ vorliegen. Der Unterlassungsanspruch nach § 364 Abs 2 ABGB setzt voraus, dass die Beeinträchtigung (Immission) sowohl ortsunüblich als auch unzumutbar ist (RS0010587 [T8]).

[9] 2.2. Für die – sowohl hinsichtlich des Ausmaßes der Immissionen als auch der Beeinträchtigung des dadurch betroffenen Grundstücks – zu berücksichtigenden örtlichen Verhältnisse kommt es auf die Dauer und Intensität sowie auf die Art der Einwirkung, den Grad ihrer Störungseignung und den „Charakter der Gegend“ an (10 Ob 38/24x [ErwGr 1.]; 5 Ob 210/21z [ErwGr 1.3.]; 6 Ob 123/20m). Die Frage, ob eine Immission (noch) als ortsüblich zu beurteilen ist, ist nicht allein aufgrund rein empirischer Ergebnisse, sondern auch anhand normativer Wertungen zu beantworten; die Ortsüblichkeit ist somit auch ein wertungsabhängiger Rechtsbegriff (6 Ob 171/21x [ErwGr 2.1.]).

[10] 2.3. Der Maßstab der Wesentlichkeit der Einwirkung ist in erster Linie ein objektiver, der auf die Benützung der Nachbargrundstücke abstellt und daher von der Natur und der Zweckbestimmung des beeinträchtigten Grundstücks (hier: für Wohnzwecke) abhängig ist. Maßgeblich für die Wesentlichkeit der Beeinträchtigung ist nicht das subjektive Empfinden des sich gestört fühlenden Nachbarn, sondern das eines Durchschnittsmenschen in der Lage des Gestörten (RS0010607).

[11] 2.4. Zu Immissionen durch Tabakrauch wurde bereits ausgesprochen, dass das Zigarettenrauchen auf dem eigenen Balkon in Wohngegenden nicht generell als ortsunüblich und die Nutzung der Nachbarwohnung wesentlich beeinträchtigend anzusehen, sondern bei der diesbezüglichen Beurteilung die Lage der Grundstücke (Wohnungen) zueinander und die Intensität und Dauer der Geruchsentwicklung entscheidend ist (2 Ob 1/16k [ErwGr 3.1. ff und 4.1. f]; vgl auch 9 Ob 510/94 [im üblichen Ausmaß zu duldende Geruchsbelästigungen wie Küchengerüche oder Zigarettenrauch durch andere Mieter]).

[12] 2.5. Der Oberste Gerichtshof hat bereits gebilligt, dass auch unregelmäßig wiederkehrende Geruchseinwirkungen aufgrund ihrer geringen Dauer nicht das Gewicht einer wesentlichen Beeinträchtigung der ortsüblichen Nutzung zukommt (6 Ob 123/20m [Spritzen und Lackieren von Fahrzeugen]; 1 Ob 198/19b [gastgewerbliche Küchenabluft]). Auch betreffend unvermutet und spontan auftretende Immissionen wurde ein Unterlassungsanspruch bereits verneint (6 Ob 33/15v [Froschquaken]; 4 Ob 99/12f [Krähen eines Hahns]).

[13] 2.6. Bei der Beurteilung der Wesentlichkeit einer Nutzungsbeeinträchtigung iSd § 364 Abs 2 ABGB kommt es im besonderen Maß auf die Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls an, sodass in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zu beantworten ist (RS0010558). Das gilt auch für die Frage, ob eine Einwirkung das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß übersteigt (RS0010558 [T3]).

[14] 3.1. Nach den Feststellungen kommt es nach den konkreten örtlichen und meteorologischen Verhältnissen sowie der Lage der Wohnungen zueinander im Bereich des Reihenhauses der Beklagten zu von den Mietern der Beklagten durch Zigarettenrauch ausgehenden Geruchsimmissionen in der Dauer von insgesamt weniger als 88 Stunden pro Jahr (das sind durchschnittlich weniger als 15 Minuten pro Tag). Diese schwanken in ihrer Intensität zwischen stark und gerade noch wahrnehmbar. Auch die Dauer der Wahrnehmbarkeit pro Tag ist unterschiedlich und hängt von den meteorologischen Verhältnissen ab.

[15] 3.2. Das Berufungsgericht war der Ansicht, eine ortsunübliche und die Nutzung der klägerischen Liegenschaft wesentlich beeinträchtigende Störung liege nicht vor. Eine gerichtliche Festsetzung von „Rauchruhezeiten“ unabhängig vom Vorliegen einer ortsunüblichen, wesentlichen Beeinträchtigung oder mit der Begründung, jegliche Rauchimmission während dieser Ruhezeiten stelle eine solche unzumutbare Störung dar, komme nicht in Betracht.

[16] Diese Auffassung findet Deckung in den erörterten Rechtsprechungsgrundsätzen und überschreitet den dem Berufungsgericht danach zukommenden Beurteilungsspielraum nicht.

[17] 3.3. Bereits das Berufungsgericht hat darauf hingewiesen, dass der der Entscheidung 2 Ob 1/16k zugrunde liegende Sachverhalt mit dem vorliegen an Intensität und Dauer der Immissionen nicht vergleichbar ist. Weder sind hier Immissionen durch in der genannten Entscheidung als intensiver und damit störender beurteilten Zigarrenrauch zu beurteilen noch ist gegenständlich dem Sachverhalt zu entnehmen, dass im Bereich des Reihenhauses der Kläger täglich bis zu fünf Stunden lang Rauchgeruch deutlich wahrnehmbar wäre.

[18] 3.4. Der Entscheidung 2 Ob 1/16k ist auch nicht zu entnehmen, dass betreffend Tabakrauch ein Anspruch auf bestimmte „Ruhezeiten“ selbst dann bestünde, wenn diese Immissionen nur geringfügig sind und nur gelegentlich, jedoch unvermutet und für den Beeinträchtigten spontan auftreten. Vielmehr bejahte der Oberste Gerichtshof zunächst aufgrund der erheblichen Dauer und Intensität der Immissionen (siehe oben Punkt 3.3.) das Vorliegen einer ortsunüblichen und die Nutzung der klägerischen Wohnung wesentlich beeinträchtigenden Störung (2 Ob 1/16k [ErwGr 3.4. und 4.2.]). Unter Berücksichtigung auch des Rechts des dort Beklagten, seine Wohnung nach seinen Vorlieben und Bedürfnissen nutzen zu können, wurde ein Interessenausgleich durch eine im Einzelfall bemessene zeitliche Beschränkung des Unterlassungsgebots festgelegt. Dabei hat der Oberste Gerichtshof vornehmlich auf die diesbezügliche Rechtsprechung zu „Musikimmissionen“ Bezug genommen (vgl dazu jüngst 5 Ob 210/21z) und unter Hinweis auf das nachbarrechtliche Rücksichtnahmegebot sowie auf eine Entscheidung des deutschen Bundesgerichtshofs (V ZR 110/14) keinen uneingeschränkten Unterlassungsanspruch angenommen (2 Ob 1/16k [ErwGr 6.1. ff]). Die in dieser Entscheidung des BGH vertretene Auffassung, wonach deutlich (intensiv) wahrnehmbarer Zigarettenrauch schon in der Dauer auch nur einer Zigarettenlänge bereits eine unzumutbare Störung bedeute (V ZR 110/14 Rn 15), übernahm der Oberste Gerichtshof hingegen nicht (siehe auch oben Punkt 2.4.).

[19] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 ZPO iVm § 50 Abs 1 ZPO.

Unsere Meinung dazu

Eine sehr lebensnahe Entscheidung des OGH. Entgegen der Meinung einiger weniger Fanatiker, dass Zigarettenrauch besonders störend sei und daher verboten werden müsse, stellt auch diese Immission nur eine Geruchsbelästigung dar, die ortsunüblich und die Nachbarliegenschaft wesentlich beeinträchtigend sein muss, um verboten zu sein. Der Zigarettenrauch ist damit vergleichbar mit Küchenabluft. Eine Belastung von ca. 15 Minuten täglich erreicht die Intensität einer verbotenen Störung nicht. Die vom BGH (Deutschland) vertretene Auffassung, wonach deutlich (intensiv) wahrnehmbarer Zigarettenrauch schon in der Dauer auch nur einer Zigarettenlänge bereits eine unzumutbare Störung bedeute, hat der OGH ausdrücklich nicht übernommen. Eine erfreulich lebensnahe Differenzierung zwischen Deutschland und Österreich.