Zur Anfechtung wegen Irrtums

Ferdinand Bachinger
Admin | 20. April 2025
OGH vom 27.02.2025, 8 Ob 146/24i:
[1] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu den Fragen zu, ob eine Aufklärungspflicht eines Händlers darüber bestehe, dass ein Produkt vom Hersteller nicht als für die von einer ÖNORM geforderten CE-Zertifizierung erforderliche Verwendungsklasse geeignet deklariert worden sei, sowie ob sich aus Art 14 Bauprodukte-VO eine Rechtspflicht zur Aufklärung darüber ergebe, ob der Vertragsgegenstand über eine in einer ÖNORM geforderte CE-Zertifizierung verfügte.
Rechtliche Beurteilung
[2] Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508 Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision des Klägers unzulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).
[3] 1.1. Der Kläger wendet sich mit seiner Revision gegen die Abweisung seines auf Rückzahlung der von ihm geleisteten Anzahlung für von der beklagten Händlerin gelieferte und montierte Gasthaustüren Zug um Zug gegen Rückgabe dieser Türen; unter Geltendmachung von Nichtigkeit und groben Verfahrensmängeln vermeint der Kläger, die Zulässigkeit seines Rechtsmittels damit begründen zu können, dass eine im – zu 8 Ob 9/23s aufgehobenen – erstinstanzlichen Urteil des ersten Rechtsgangs unbekämpft gebliebene Feststellung sich in den Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen im zweiten Rechtsgang nicht mehr finde, weshalb diese Urteile gegen die Rechtskraft jener Feststellung verstießen.
[4] Was dem Kläger mit der Geltendmachung eines Verstoßes gegen die „Rechtskraft der Feststellungen“ eines – zudem zur Gänze aufgehobenen (und somit aus dem Rechtsbestand entfernten) – Urteils rechtlich vorschwebt, kann der Senat nicht nachvollziehen (vgl RS0041285; RS0118570). Ein Revisionsgrund wie hier ins Treffen geführt existiert nicht. Soweit dieselben Umstände als Verfahrensmangel releviert werden, genügt der Hinweis, dass ein solcher Mangel in der Berufung nicht geltend gemacht wurde. In der Berufung nicht gerügte Verfahrensmängel erster Instanz dürfen vom Berufungsgericht nicht wahrgenommen und können auch nicht mehr als Revisionsgrund geltend gemacht werden; die Nichtberücksichtigung eines in der Berufung ungerügten Verfahrensfehlers durch das Gericht der zweiten Instanz bildet keinen Mangel des Berufungsverfahrens (vgl RS0074223 [insb T1]).
[5] 1.2. Als Mangel des Berufungsverfahren soll sich die Zulässigkeit der Revision weiters daraus ergeben, dass sich das Berufungsgericht nicht mit einer Beweisrüge des Klägers auseinandergesetzt habe.
[6] Ein solcher Verfahrensverstoß wurde geprüft; auch er liegt nicht vor: Das Berufungsgericht hielt fest, dass – abgesehen vom Umstand, dass die bekämpfte (die Fluchttürdeklaration nach EN 14351-1 betreffende) und die angestrebte (sich auf die Deklaration der Funktionsklasse 6 nach der EN 12400 beziehende) Feststellung nicht dasselbe Beweisthema beträfen – die Wunschfeststellung ohnehin als unbestritten der rechtlichen Beurteilung zugrundezulegen ist (worauf sich die Revision im Weiteren sogar selbst bezieht). Im Tatsächlichen ist somit davon auszugehen, dass der Kläger von der Beklagten nicht darüber aufgeklärt wurde, dass der Hersteller der Türen diese nach der Funktionsklasse 5 deklarierte und der Kläger, hätte er davon erfahren, vom Kauf Abstand genommen hätte. Damit hat das Berufungsgericht sowohl die Berechtigung der Beweisrüge als auch das Fehlen eines sekundären (rechtlichen) Feststellungsmangels zumindest vertretbar verneint.
[7] 2.1. Der Senat hatte im Aufhebungsbeschluss im ersten Rechtsgang zu 8 Ob 9/23s klargestellt, dass es im vorliegenden Fall, in dem ein formaler Nachweis der Funktionsklasse 6 nach der EN 12400 („häufige Beanspruchung“, wonach Türen bei der mechanischen Prüfung durch ein entsprechendes Institut 200.000 Funktionszyklen [jeweils mit Öffnen und Schließen] überstehen müssen) nicht vereinbart war, auf die tatsächliche der Vereinbarung entsprechende Qualität der Türen ankommt. Die zwischen den Streitteilen vereinbarte Eignung als Gasthaustüren ist dann tatsächlich gegeben, wenn die Türen – hätte man sie einer entsprechend erweiterten Prüfung unterzogen – nicht nur die Voraussetzungen der vom Hersteller angegebenen Funktionsklasse 5, sondern auch die doppelt so hohen Anforderungen der Klasse 6 der EN 12400 tatsächlich erfüllt hätten, was grundsätzlich auch anders als durch eine Klassifizierungsangabe des Herstellers nachgewiesen werden kann.
[8] 2.2. Im zweiten Rechtsgang steht nunmehr fest, dass die Türen die Qualitätsanforderungen der Klasse 6 nach EN 12400 für Türen unter anderem in Gaststätten tatsächlich erfüllen, sodass dem Kläger der ihm obliegende Nachweis des Mangels im Sinne eines Fehlens einer bedungenen Eigenschaft (vgl RS0018553) nicht gelungen ist (vgl 8 Ob 9/23s Rz 27 f). Eine CE-Kennzeichnung enthält nämlich keine Aussage über die Qualität des Bauprodukts, sondern lediglich eine Leistungserklärung des Herstellers, die verspricht, welchen Anforderungen das Produkt generell gerecht wird, sodass ein Mangel allein wegen der Verwendung nicht CE-gekennzeichneter bzw – hier nicht einer bestimmten Klassifizierung entsprechend gekennzeichneter – Bauprodukte somit nur dann in Betracht kommt, wenn auch eine solche Kennzeichnung vereinbart wurde (7 Ob 43/23h Rz 30 ff [insb Rz 42]). Dass solches hier nicht der Fall ist, haben schon die Vorinstanzen dargelegt; die Revision kommt auf diese Frage auch nicht mehr unmittelbar zurück.
[9] 3.1. Das Schwergewicht der Revision liegt nunmehr auf Aspekten der Irrtumsanfechtung, wobei tragend dahin argumentiert wird, der Irrtum des Klägers betreffe Umstände, über die ihn die Beklagte nach geltenden Rechtsvorschriften aufzuklären gehabt hätte; andere irrtumsbegründende Umstände iSd § 871 Abs 1 ABGB werden in der Revision hingegen nicht angesprochen. Sie führt für die Relevanz einer ihrer Ansicht nach gebotenen, jedoch unterlassenen Aufklärung zwei Aspekte ins Treffen, welche die Vorinstanzen in vom Obersten Gerichtshof aufzugreifender Weise grob unrichtig beurteilt hätten.
[10] Einerseits habe die Beklagte als Fachmann iSd § 1299 ABGB die Verwendung der Türen für den Gastronomiebetrieb empfohlen, obwohl diese nicht als der Klasse 6 nach EN 12400 zugehörig deklariert gewesen seien. Die Beklagte habe gewusst, dass die Türen für den Geschäftsbetrieb des Klägers bestimmt seien, und habe ihn dadurch gefährdet und geschädigt, dass keine CE-Zertifizierung vorliege.
[11] Andererseits hätten sich nach der Bauprodukte-VO auch Händler wie die Beklagte zu vergewissern, dass ein Bauprodukt mit einer CE-Kennzeichnung versehen sei, bevor sie das Produkt auf dem Markt bereitstellen würden; auch daraus folge eine Pflicht der Beklagten, den Kläger aufzuklären.
[12] 3.2. Nach ständiger Rechtsprechung besteht zwar keine allgemeine Rechtspflicht, den Geschäftspartner über alle Umstände aufzuklären, die auf seine Entschließung einen Einfluss haben können, doch ist sie dann zu bejahen, wenn der andere Teil nach den Grundsätzen des redlichen Geschäftsverkehrs eine Aufklärung erwarten durfte (RS0014811). Bei wirtschaftlichen Umsatzgeschäften unter Kaufleuten sind in Hinblick auf die unterschiedlichen Interessenlagen nur geringe Aufklärungspflichten des Vertragspartners über die für die Preisbildung maßgeblichen Umstände anzunehmen; der Käufer beurteilt den Wert des Kaufgegenstands auf eigenes Risiko (RS0014787 [insb T4]).
[13] 3.3. Wann die Aufklärungspflicht des Vertragspartners nach der Übung des redlichen Verkehrs besteht, ergibt sich aber jeweils aus den Umständen des Einzelfalls (RS0111165). Generelle Aussagen, wann eine Warn- bzw Aufklärungspflicht besteht, sind kaum möglich (RS0014811 [T11]); die Frage ihres Bestehens oder ihres Umfangs ist eine des Einzelfalls (RS0014811 [T12]; RS0048335 [T4]; RS0111165 [T1]; RS0116074 [T1, T2]; RS0016184 [T8]), weshalb erhebliche Rechtsfragen nur bei einer im Interesse der Rechtssicherheit wahrzunehmenden rechtlichen Fehlbeurteilung vorliegen könnten (RS0106373).
[14] Eine solche vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung ist hier nicht erkennbar.
[15] 4.1. Nach den Feststellungen waren CE-Kennzeichnungen weder Gegenstand von Vertragsgesprächen noch der Vereinbarungen über zugesicherte Eigenschaften der vertragsgegenständlichen Türen; vereinbart war lediglich deren Eignung für den Einsatz im Gasthaus des Klägers, was nur im Hinblick auf die Fähigkeit des Bestehens einer mechanischen Prüfung durch ein entsprechendes Institut über 200.000 Funktionszyklen sowie das Vorliegen einer Deklaration über die Eignung als sich nach außen öffnende Fluchttüren vom Kläger zum Gegenstand des Revisionsverfahrens gemacht wird.
[16] Beide Eigenschaften sind nach den Feststellungen tatsächlich gegeben, ohne dass entsprechende CE-Kennzeichnungen der Klasse 6 nach EN 12400 (Funktionszyklentest; vgl oben Pkt 2.1.) bzw EN 179 und EN 1125 iVm EN 14351-1 (wonach ein Hersteller die Fähigkeit zur Freigabe im Sinne einer Fluchttüre nur dann deklarieren dürfte, wenn eine Prüfung durch eine notifizierte Stelle mit Fremdüberwachung des Herstellerbetriebs vorläge) angebracht waren.
[17] 4.2. In Abstimmung mit den Gewährleistungsregeln gehören zum Inhalt eines Vertrags all jene Eigenschaften, die üblicherweise bei entsprechenden Geschäften vorausgesetzt werden, sowie solche, die konkret zugesichert sind (RS0014944).
[18] Der Revision ist es schon nicht gelungen, einen Mangel durch das Fehlen nicht vereinbarter CE-Kennzeichnungen nachzuweisen, die über die tatsächlichen – hier höheren – Qualitätsmerkmale des Produkts nichts aussagen. Woraus die Revision dennoch konkret eine Pflicht zur vorvertraglichen Aufklärung des Vertragspartners über das Auseinanderfallen von Kennzeichnung und tatsächlich höherer, den vertraglichen Anforderungen entsprechender Qualität ableiten will, ist nicht ersichtlich. Sie verweist selbst wiederholt darauf, dass das Einsatzgebiet der Türen die Gastronomie gewesen sei, legt jedoch nicht dar, woraus die Beklagte – selbst wenn man sie wegen ihrer überlegenen Fachkenntnisse zugleich als Berater des Käufers ansähe (vgl RS0014823) – erkennen oder schließen hätte müssen, dass der Kläger nicht auf die tatsächliche Eignung der Türen für sein Gasthaus, sondern gerade auf die dementsprechende Kennzeichnung besonderen Wert gelegt hätte oder seine Interessen durch deren Fehlen gefährdet worden wären (vgl RS0016390). Konkrete Umstände, aus denen dies im Einzelfall anders zu beurteilen und eine Aufklärungspflicht der Beklagten zu bejahen wäre, ergeben sich aus den Feststellungen nicht und werden auch von der Revision nur pauschal behauptet, aber nicht aufgezeigt.
[19] 4.3. Zutreffend verweist die Revisionsbeantwortung in diesem Zusammenhang auch darauf, dass sich aus der von den Tatsacheninstanzen getroffenen Negativfeststellung dahin, ob der Kläger die Türen auch in Kenntnis der fehlenden Deklarierung betreffend die Fluchttüreignung gekauft hätte, auch im Lichte des § 871 Abs 2 ZPO für den Standpunkt der Revision nichts ableiten lässt: Fragen der Behauptungs- und Beweislast würden sich erst dann stellen, wenn der Beklagten die Unterlassung gebotener Aufklärung vorzuwerfen wäre.
[20] 4.4. Auch in Ansehung von Art 14 der VO (EU) 2011/305 vom 9. 3. 2011 zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten zeigt die Revision keine erhebliche Rechtsfrage auf. Nach dem völlig klaren Wortlaut dieser Bestimmung haben sich Händler, bevor sie ein Bauprodukt auf dem Markt bereitstellen, im Kern zu vergewissern, dass das Produkt, soweit erforderlich, mit der CE-Kennzeichnung versehen ist, und dass ihm die gemäß erforderlichen Unterlagen, Anleitungen und Sicherheitsinformationen beigefügt sind. Sie haben das Bauprodukt erst dann auf dem Markt bereitzustellen, wenn es der beigefügten Leistungserklärung und sonstigen nach dieser Verordnung geltenden Anforderungen entspricht oder nachdem die Leistungserklärung korrigiert wurde. Das bedeutet, dass ein Händler darauf zu achten hat, dass ein Produkt tatsächlich über Eigenschaften verfügt, die nicht hinter den durch die CE-Kennzeichnung und deren Verweis auf die Leistungserklärung oder sonstigen geltenden Anforderungen deklarierten Eigenschaften zurückbleiben.
[21] Daraus ist auch unter Bemühung des äußersten Wortsinns aber weder ableitbar, dass ein Händler ein Bauprodukt nicht vermarkten dürfte, das die Leistungserklärung übererfüllt, also eine geringere Kennzeichnung aufweist als nach ihren tatsächlichen Eigenschaften gerechtfertigt wäre, noch dass ihm eine in der VO (EU) 2011/305 und der dem Händler in dieser zugewiesenen Rolle gegründete Pflicht auferlegt würde, seinen Vertragspartner über das Zurückbleiben der Kennzeichnung gegenüber den tatsächlichen Eigenschaften aufzuklären. Solches könnte sich wiederum nur aus den vertraglichen Vereinbarungen ergeben, die jedoch im vorliegenden Einzelfall – wie dargelegt – zu CE-Kennzeichnungen nichts enthalten.
[22] 5.1. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts ist daher im Einzelfall nicht zu beanstanden. Weder die in seiner Zulassungsbegründung aufgeworfenen Fragen noch die in der Revision ins Treffen geführten Umstände begründen erhebliche, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfragen des materiellen oder des Verfahrensrechts; die Revision des Klägers ist daher zurückzuweisen.
[23] 5.2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision konkret hingewiesen.
Unsere Meinung dazu
Diese Entscheidung des OGH ist wenig spektakulär keinesfalls überraschend. Der OGH hat aber klargestellt, dass die CE-Zertifizierung von Bauprodukten bzw. das CE-Kennzeichen generell kein Qualitätsmerkmal im Sinn des Gewährleistungsrechtes darstellt. Dieser weit verbreitete Irrglaube sollte damit beseitigt worden sein. Eine CE-Kennzeichnung enthält nämlich keine Aussage über die Qualität des Bauprodukts, sondern lediglich eine Leistungserklärung des Herstellers, die verspricht, welchen Anforderungen das Produkt generell gerecht wird, sodass ein Mangel allein wegen der Verwendung nicht CE-gekennzeichneter bzw. – hier nicht einer bestimmten Klassifizierung entsprechend gekennzeichneter – Bauprodukte somit nur dann in Betracht kommt, wenn auch eine solche Kennzeichnung (ausdrücklich) vereinbart wurde.