Unterlassen mündliche Verhandlung
Ferdinand Bachinger
Admin | 11. August 2024
VwGH vom 18.03.2024, Ra2023/05/0226:
Zur Vorgeschichte wird auf den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 7. Dezember 2022, Ra 2022/05/0187, verwiesen. Mit diesem wurde die außerordentliche Revision des Revisionswerbers gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien (Verwaltungsgericht) vom 15. September 2022, mit welchem die vom Revisionswerber beantragte Baubewilligung für eine näher beschriebene Bauführung (Aufstockung bestehender Hofgebäude um drei Stockwerke und ein Dachgeschoß) auf einem näher bezeichneten Grundstück in Wien versagt worden war, zurückgewiesen.
Mit Bescheid vom 24. Februar 2023 erteilte der Magistrat der Stadt Wien (belangte Behörde) dem Revisionswerber gemäß § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien (BO) folgenden baupolizeilichen Auftrag: „Die ohne Bewilligung durchgeführten baulichen Änderungen, Aufstockung des ebenerdigen Hofgebäudes, sind zu beseitigen, und es ist der ursprünglich bewilligte Konsens wieder herstellen zu lassen“.
Begründend führte die belangte Behörde aus, das auf der betreffenden Liegenschaft befindliche Hofgebäude sei um drei Stockwerke erweitert worden. Gemäß § 129 Abs. 10 BO seien die ohne Baubewilligung durchgeführten baulichen Abänderungen zu beseitigen.
In der dagegen erhobenen Beschwerde an das Verwaltungsgericht brachte der Revisionswerber unter anderem vor, die Bauführung sei nicht in dem von der Behörde bewilligten Ausmaß, sondern „in einem weit geringeren Ausmaß“ vorgenommen worden. Es sei ein Stockwerk niedriger „und auch sonst“ nicht in dem bewilligten Ausmaß gebaut worden. Erhebungen, ob die Bauführung tatsächlich in der durch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes versagten Form erfolgt sei, seien nicht durchgeführt worden; es sei dem Umstand nicht Rechnung getragen worden, dass aus dem gesamten Verfahren ersichtlich sei, dass die Bauführung in einem erheblich geringeren Ausmaß vorgenommen worden sei. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde ausdrücklich beantragt.
Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass der Spruch des angefochtenen Bescheides zu lauten habe: „Der Magistrat der Stadt Wien erteilt gemäß § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien (BO) dem Eigentümer der Baulichkeit auf den im Betreff genannten Liegenschaften nachstehenden Auftrag: ‚Die auf der Liegenschaft 1040 Wien [...] ohne Bewilligung auf dem ebenerdigen Hofgebäude errichteten drei Stockwerke sind binnen 10 Monaten ab Rechtskraft dieser Entscheidung zu beseitigen. Die Erfüllung des Auftrages ist der Behörde zu melden.‘“ (Spruchpunkt I.). Weiters erklärte es eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig (Spruchpunkt II.).
Hierzu stellte das Verwaltungsgericht fest, der Revisionswerber sei Alleineigentümer der gegenständlichen Liegenschaft. An der nordöstlichen Grundstücksgrenze dieser Liegenschaft sei ein eingeschossiges Gebäude im Innenhof baubehördlich bewilligt. Auf dieses Gebäude seien drei Stockwerke aufgebaut worden. Für diese Erweiterung des bestehenden Hofgebäudes um drei Stockwerke liege keine Baubewilligung vor.
Beweiswürdigend verwies das Verwaltungsgericht auf den Verwaltungsakt der belangten Behörde und die „Würdigung des Beschwerdevorbringens“. Der Sachverhalt sei unstrittig; im Beschwerdevorbringen sei vom Revisionswerber die Erweiterung des Hofgebäudes um drei Stockwerke zugestanden worden. Dass dafür keine Baubewilligung erwirkt worden sei, sei vom Revisionswerber nicht bestritten worden und sei auch „keine Bewilligung des gegenständlich errichteten Bauwerks“ vorgelegt worden. In der Beschwerde sei nur auf die Möglichkeit einer nachträglichen Bewilligung abgestellt worden.
Rechtlich führte das Verwaltungsgericht, soweit hier relevant, zusammengefasst aus, gemäß § 129 Abs. 10 BO sei ein vorschriftswidriges Bauwerk, für das eine nachträgliche Bewilligung nicht erwirkt oder eine Bauanzeige nicht rechtswirksam erstattet worden sei, zu beseitigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei eine Baulichkeit dann wegen fehlendem Baukonsens als vorschriftswidrig im Sinne des § 129 Abs. 10 BO anzusehen, wenn für sie sowohl im Zeitpunkt ihrer Errichtung als auch im Zeitpunkt der Erlassung des Bauauftrages ein baubehördlicher Konsens erforderlich gewesen sei, ein solcher Konsens aber nicht vorliege. „Die gegenständliche Baulichkeit“ sei als Gebäude im Sinne des § 60 Abs. 1 lit. a BO zu qualifizieren; es bestehe somit jedenfalls eine Bewilligungspflicht gemäß der genannten Gesetzesbestimmung. Da eine Bewilligung nicht vorliege und „die gegenständliche Baulichkeit“ auch nicht nach § 62a BO bewilligungsfrei sei, sei der Auftrag zu Recht erteilt worden.
Der Einwand des Revisionswerbers, die belangte Behörde habe Verfahrensvorschriften verletzt, da ihm keine Gelegenheit gegeben worden sei, eine Stellungnahme zu erstatten, vermöge der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen. Eine im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde erfolgte Verletzung des Parteiengehörs könne dann durch die mit Beschwerde an das Verwaltungsgericht verbundene Möglichkeit einer Stellungnahme saniert werden, wenn der damit bekämpfte Bescheid die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vollständig wiedergegeben habe. Dies treffe im vorliegenden Fall zu, da dem Revisionswerber aus dem Bescheid jedenfalls erkennbar gewesen sei, dass das Ermittlungsverfahren ergeben habe, dass das bestehende Hofgebäude ohne erforderliche Bewilligung um drei Stockwerke erweitert worden sei. Dazu habe der Revisionswerber „in der gegenständlichen Beschwerde auch ausführlich Stellung genommen“. Ein allfälliger Verfahrensmangel der ersten Instanz sei damit saniert.
Bei einem einheitlichen Bauwerk sei grundsätzlich der gesamte Bau Gegenstand des baupolizeilichen Auftrages. Geschoße stellten nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes solche einheitlichen Bauwerke dar, weshalb der Bauauftrag darauf zu beziehen sei. Der Spruch des Bescheides sei entsprechend zu konkretisieren gewesen, da Gegenstand des Bauauftrages „die auf das ursprünglich bestehende Hofgebäude aufgebauten Stockwerke“ seien. Das Konkretisierungsgebot beziehe sich nur auf das zu erreichende Ziel, nicht aber auf die Mittel, wie es erreicht werden solle. Der abzutragende Bau und seine Situierung müsse konkret bezeichnet sein, sodass eine Verwechslungsgefahr ausscheide.
Zum Unterlassen der beantragten mündlichen Verhandlung verwies das Verwaltungsgericht darauf, dass der entscheidungsrelevante Sachverhalt geklärt sei. Fragen der Beweiswürdigung seien nicht aufgetreten. In der vorliegenden Beschwerde seien ausschließlich Rechtsfragen aufgeworfen worden, zu deren Lösung im Sinne der Judikatur des EGMR eine mündliche Verhandlung nicht geboten sei. Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC stünden somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung trotz des Parteienantrages nicht entgegen. Von einer Verhandlung habe daher gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen werden können.
Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Begehren, dieses aufzuheben und auszusprechen, dass der Bescheid vom 9. Oktober 2017 ersatzlos aufgehoben werde, in eventu, es aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen, in eventu, es abzuändern und die Beseitigungsfrist auf jedenfalls zwei Jahre zu verlängern. Weiters wurde der Antrag gestellt, der Verwaltungsgerichtshof wolle „jedenfalls die belangten Behörden in den Ersatz der Kosten des Verfahrens verfällen“.
Zur Zulässigkeit der Revision bringt der Revisionswerber insbesondere vor, er habe in seiner Beschwerde ausdrücklich die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt; die Entscheidung sei dennoch ohne Abhaltung einer solchen getroffen worden. Das Verwaltungsgericht habe den Bescheid der belangten Behörde in seinem Spruch abgeändert, in Akten Einsicht genommen und Feststellungen auf Grund von Beweiswürdigungshandlungen getroffen. Der Revisionswerber habe in der Beschwerde, die das Verwaltungsgericht selbst als Stellungnahme im Rahmen der Wahrung seines - von der belangten Behörde verletzten - Parteiengehörs gewertet habe, Sachverhaltsvorbringen erstattet. Er habe unter anderem dargelegt, dass das Bauwerk, das abgetragen werden solle, gar nicht „aufgeführt“ (gemeint wohl: ausgeführt) worden sei.
Die belangte Behörde erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision kostenpflichtig als unzulässig zurückzuweisen bzw. als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die Revision erweist sich angesichts ihres Zulässigkeitsvorbringens zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht als zulässig. Sie ist auch begründet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in Bezug auf § 24 Abs. 4 VwGVG bereits wiederholt festgehalten, dass der Gesetzgeber als Zweck der mündlichen Verhandlung die Klärung des Sachverhaltes und die Einräumung von Parteiengehör vor Augen gehabt hat. Ferner kommt eine ergänzende Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht regelmäßig erst nach einer mündlichen Verhandlung in Frage. Bei sachverhaltsbezogenem Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien ist ebenfalls eine mündliche Verhandlung durchzuführen, dies sogar dann, wenn kein Antrag auf eine solche gestellt worden ist (vgl. etwa VwGH 15.3.2022, Ra 2021/05/0147, oder auch 9.6.2022, Ra 2021/05/0109, jeweils mwN).
Im Revisionsfall ist dem im vorgelegten Verfahrensakt erliegenden Aktenvermerk vom 27. Jänner 2023 über die Besichtigung der Baubehörde an Ort und Stelle am 26. Jänner 2023 lediglich zu entnehmen, dass „Abweichungen vom Konsens“ festgestellt worden seien. Der Revisionswerber beantragte in seiner Beschwerde an das Verwaltungsgericht ausdrücklich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und bestritt die Sachverhaltsfeststellung der belangten Behörde im bekämpften Bescheid vom 24. Februar 2023, das bestehende Hofgebäude sei in der Form aufgestockt worden, wie von der Behörde in diesem Bescheid angenommen; Erhebungen zur tatsächlichen Bauführung seien nicht erfolgt. Ohne auf dieses sachverhaltsbezogene Vorbringen einzugehen und sich mit der Frage der tatsächlich durchgeführten Bauführung auseinanderzusetzen, änderte das Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis den Spruch des angefochtenen Bescheides dahingehend ab, wie von der belangten Behörde in der Begründung des bekämpften Bescheides zum Ausdruck gebracht („Das bestehende Hofgebäude wurde um drei Stockwerke erweitert“). Davon, dass (im Sinn des § 24 Abs. 4 VwGVG) eine weitere Klärung der Rechtssache durch eine mündliche Erörterung nicht zu erwarten und der entscheidungsrelevante Sachverhalt geklärt gewesen wäre, konnte im vorliegenden Fall aber angesichts des Beschwerdeinhaltes nicht ausgegangen werden, zumal im angefochtenen Erkenntnis auch nicht nachvollziehbar dargelegt wurde, auf Grund welcher Ermittlungsergebnisse von einem dreistöckigen Aufbau auszugehen sei. Schon angesichts dessen wäre eine mündliche Verhandlung durchzuführen gewesen.
Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass ein baupolizeilicher Beseitigungsauftrag wie der vorliegende „civil rights“ im Sinne des Art. 6 EMRK betrifft; eine Prüfung der Relevanz der Unterlassung einer mündlichen Verhandlung ist daher nicht durchzuführen (vgl. etwa VwGH 25.9.2019, Ra 2019/05/0056, mwN).
Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Gemäß § 47 Abs. 5 VwGG ist der dem Antragsteller zu leistende Aufwandersatz von jenem Rechtsträger zu leisten, in dessen Namen die Behörde in dem - dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen - Verwaltungsverfahren gehandelt hat. Das ist in der gegenständlichen Angelegenheit die Bundeshauptstadt Wien. Der Antrag, „die belangten Behörden“ in den Ersatz der Kosten des Verfahrens zu verfällen, war daher abzuweisen (vgl. etwa VwGH 19.4.2023, Ro 2022/07/0007, mwN).
Unsere Meinung dazu
Ein vielfach vorhandener Irrglaube von Behörden ist, dass es keiner mündlichen Verhandlung bedarf, wenn der Sachverhalt aus der Sicht des Beamten hinreichend geklärt oder die Verhandlung keine Relevanz für die Entscheidung der Behörde hat. Wenn der Antragsteller die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ausdrücklich beantragt und der Verhandlungsgegenstand besonders geschützte "civil rights" im Sinn des Art. 6 MRK betrifft, muss die Behörde eine mündliche Verhandlung durchführen. Das ist auch sachgerecht, da es das Gesetz zwingend vorsieht und eine Behörde nicht das Recht hat, die Festlegungen des Gesetzgebers zu ändern. Die Behörde hat diese vielmehr zu vollziehen.