Unfall Skidoo und Skifahrer
Ferdinand Bachinger
Admin | 19. Mai 2024
OGH vom 21.03.2024, 2 Ob 231/23v:
Der Kläger traf am 20.3.2019 als Skifahrer im Skigebiet der Beklagten auf einem Ziehweg auf einen bergwärts fahrenden, von einem Pistenretter im Einsatz gelenkten Motorschlitten der Beklagten, geriet im Zuge der Vorbeifahrt über den Pistenrand hinaus und verletzte sich dabei schwer.
Der Skiweg wies ein Gefälle von 9–11 Grad sowie eine Breite von 5–6 m auf und verfügte nur über eine einzige, schlechter einsehbare Kehre, wo sich letztlich auch der Unfall ereignete.
Der Lenker des Motorschlittens war am Unfallstag mit diesem als Pistenretter mit Signalleuchte und akustischem Warnsignal (Hupe) im Einsatz. Der Motorschlitten hatte eine Breite von 141 cm. Der Pistenretter fuhr mit einer Geschwindigkeit von 30–40 km/h bergwärts, hielt sich bei Annäherung an die Kurve aus seiner Sicht so weit links wie möglich und nahm etwas Tempo heraus, wobei seine genaue Geschwindigkeit nicht feststellbar ist.
Der Kläger näherte sich mit einer Geschwindigkeit von mehr als 30 km/h, allenfalls auch mehr als 40 km/h geradeaus ohne wesentliche Ausdrehungen zur Falllinie. Auch er entschied sich, die Kurve aus Sichtgründen an der – aus seiner Sicht äußerst rechten – Außenseite zu durchfahren. Ob bzw. wann er den Motorschlitten vor dem Unfall wahrnahm, steht nicht fest. Jedenfalls nahm er ihn trotz wechselseitiger Sichtmöglichkeit schon aus 43 m Entfernung so spät wahr, dass ihm ein Ausweichen nach links, wo er 3–4 m Platz gehabt hätte, nicht mehr möglich war. Beim Versuch rechts vorbeizufahren, wo sich kaum befahrbare Fläche befand, kam er nach der Begegnung (ohne Berührung) zu Sturz. Er hätte 21,6 m vor der späteren Unfallstelle (Entfernung zum Motorschlitten: 43 m) erkennen können, dass er kurveninnenseitig gefahrlos passieren hätte können.
Der Pistenretter nahm den Kläger (zwar) als unmittelbar auf ihn zufahrend wahr, reagierte aber erst mit einer Bremsung, als der Kläger an ihm vorbeifuhr. Er hätte den Kläger ebenfalls aus einer Entfernung von 43 m wahrnehmen und die Geschwindigkeit auf 10 km/h verringern können. Ob dies den Unfall verhindert hätte, steht nicht fest. Allerdings wäre der Handlungsspielraum des Klägers größer geworden. Den Unfall hätte er aber durch Anhalten bei Erstsicht vermeiden können. Ob er den Unfall durch Anhalten zu jenem Zeitpunkt, als er den Kläger unmittelbar auf ihn zufahrend wahrnahm, vermeiden hätte können, steht ebenfalls nicht fest.
Der Kläger begehrt von der Beklagten – soweit noch für das Revisionsverfahren relevant – gestützt auf Vertragshaftung (Liftbenützungsvertrag) zuletzt die Zahlung von 30.536,72 EUR sA und die Feststellung ihrer Haftung für zukünftige Schäden. Er bringt vor, der Pistenretter sei mit überhöhter Geschwindigkeit und unaufmerksam in die schlecht einsehbare Kurve eingefahren. Es wären überdies Warnhinweise vorzusehen gewesen.
Die Beklagte wendet zusammengefasst das Alleinverschulden des Klägers ein. Der Pistenretter habe ohnehin den – aus seiner Sicht – äußerst linken Pistenrand benutzt und sämtliche Warneinrichtungen am Motorschlitten aktiviert gehabt. Der Kläger habe auf dessen Annäherung verspätet und falsch reagiert. Er hätte ohne weiters links vorbeifahren können.
Das Erstgericht gab – im zweiten Rechtsgang – dem Zahlungsbegehren im Umfang von 2.959,17 EUR und dem Feststellungsbegehren im Ausmaß von ¼ statt und wies das Mehrbegehren ab. Es bejahte auf Grundlage des abgeschlossenen Liftbenützungsvertrags eine Vertragshaftung der Beklagten, weil der Pistenretter nicht die gebotene äußerste Sorgfalt bei Annäherung an die unübersichtliche Kurve eingehalten und diese mit überhöhter Geschwindigkeit durchfahren habe. Er hätte zwar nicht anhalten, aber die Geschwindigkeit zumindest auf 10 km/h verringern müssen. Dieser Sorgfaltsverstoß sei aber im Vergleich zur Sorglosigkeit des Klägers vergleichsweise geringfügig, weil dieser entweder aufgrund überhöhter Geschwindigkeit oder Unachtsamkeit ungebremst auf das für ihn erkennbare Hindernis zugefahren und erst unter dem Eindruck der viel zu spät erkannten Gefahr falsch reagiert habe. Dies rechtfertige eine Verschuldensteilung von 1 : 3 zu Lasten des Klägers.
Das – von beiden Parteien angerufene – Berufungsgericht schloss sich im Wesentlichen der Rechtsansicht des Erstgerichts an, bestätigte dessen Entscheidung und ließ die ordentliche Revision nicht zu.
Die – sich ausschließlich mit der Gewichtung des Verschuldens beschäftigende – Revision ist zulässig, weil dem Berufungsgericht insoweit eine aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen ist. Sie ist teilweise auch berechtigt.
Mit Abschluss des Beförderungsvertrags übernimmt der Liftunternehmer als Pistenhalter die Pflicht, im unmittelbaren Bereich des von ihm eröffneten Skiverkehrs die körperliche Integrität seiner Vertragspartner durch nach der Verkehrsauffassung erforderliche und zumutbare Maßnahmen zu schützen. Er und seine Leute sind im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflicht insbesondere verpflichtet, dort entsprechende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, wo dem Skifahrer durch nicht oder schwer erkennbare Hindernisse Gefahren drohen. Nach ständiger Rechtsprechung hat er demnach atypische Gefahren zu sichern, also solche Hindernisse, die der Skifahrer nicht ohne weiteres erkennen kann, und solche, die er trotz Erkennbarkeit nur schwer vermeiden kann. An die Verkehrssicherungspflicht des Pistenhalters dürfen aber auch keine überspitzten Anforderungen gestellt werden; sie darf nicht überspannt werden. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass Pistengeräte zwar typische Erscheinungen auf einer Skipiste sind, dies den Betreiber des Pistengeräts aber nicht der Pflicht enthebt, auf die Möglichkeit Bedacht zu nehmen, dass Skifahrer – nicht auf Sicht fahrend – „zu Tale rasen“.
Skifahrer dürfen durch den Einsatz von Pistengeräten nicht mehr behindert bzw. gefährdet werden, als dies das Wesen der Pistenfahrzeuge zwangsläufig mit sich bringt. Der pistensicherungspflichtige Unternehmer hat die durch den Einsatz solcher Fahrzeuge ausgelösten Gefahren für abfahrende Skiläufer, soweit dies möglich und zumutbar ist, auszuschalten. Erweist sich der Einsatz eines Pistenfahrzeugs während der Liftbetriebszeit als unumgänglich, hat der Liftunternehmer, gerade bei Pisten mit engen bzw. unübersichtlichen Passagen, grundsätzlich durch geeignete Maßnahmen (z.B. Warntafel) vor dem Einsatz des Geräts zu warnen. Ein Pistengerät, das auf einer von Skifahrern frequentierten Piste bergwärts fährt, stellt nämlich eine besondere Gefahrenquelle dar.
Das Fehlen einer Warntafel ist der Beklagten im konkreten Fall schon deshalb nicht als für die Gewichtung des Verschuldens auch ins Kalkül zu ziehende (kausale) Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflichten anzulasten, weil die Gefahr des sich nähernden Motorschlittens für den Kläger schon aus einer Entfernung von 43 m ohne weiteres erkennbar war. Es lag daher keine nicht oder nur schwer erkennbare (unfallskausale) Gefahr vor, die er nicht leicht vermeiden hätte können. Die Aufstellung von Warntafeln an all jenen unübersichtlichen Stellen, die potentiell (nur) im Zuge eines Rettungseinsatzes während der Betriebszeiten passiert werden könnten, würde die Verkehrssicherungspflichten überspannen.
Ein Pistengerät, das auf einer von Skifahrern frequentierten Piste bergwärts fährt, stellt eine besondere Gefahrenquelle dar. Bei Fahrten auf Pisten mit Pistengeräten während des Liftbetriebs ist daher – insbesondere bei Fehlen sonstiger Warnsignale (Warntafeln) – nach Möglichkeit eine Fahrlinie zu wählen, bei deren Einhaltung das Gerät für einen entgegenkommenden Skifahrer stets sichtbar bleibt. Kann das Gerät infolge der örtlichen Verhältnisse längere Zeit hindurch nicht wahrgenommen werden, dann ist für den Lenker äußerste Vorsicht geboten.
Muss der Lenker eines Motorschlittens beispielsweise infolge einer sichtbehindernden Geländekante davon ausgehen, von den ihm entgegenkommenden Skifahrern einer Skifahrergruppe nicht gesehen zu werden, so muss er, um dem in dieser Situation von ihm zu beachtenden Gebot der „äußersten Vorsicht“ angemessen Rechnung zu tragen, den Motorschlitten im Zweifel in ausreichendem Abstand zu der Geländekante anhalten und das Vorbeifahren der Gruppe abwarten, bis bei realistischer Einschätzung mit weiteren Skifahrern nicht mehr zu rechnen ist.
Andererseits gilt auch für den Skifahrer das Gebot des Fahrens auf Sicht. Jeder Skifahrer muss kontrolliert fahren, das vor ihm liegende Gelände genau beobachten und seine Geschwindigkeit auf die Geländeverhältnisse einrichten.
Im konkreten Fall befand sich der Lenker des Skidoos unter Verwendung der Hupe und Drehleuchte im Rettungseinsatz und fuhr soweit links wie möglich, um (auch) einen besseren Einblick in die Kurve zu bekommen. Ihm kann daher weder die Wahl der Fahrlinie noch die Verwendung des Pistengeräts während der Betriebszeiten oder die Unterlassung von Warnsignalen angelastet werden. Auch reduzierte er bei Annäherung an die Kurve seine bis dahin eingehaltene Fahrgeschwindigkeit (30–40 km/h), um auf Unvorhergesehenes hinter der Kurve reagieren zu können. Im Hinblick auf den Rettungseinsatz und der ausreichenden Platzverhältnisse, die ein gefahrloses Passieren des Klägers grundsätzlich ermöglicht hätten, war der Lenker des Motorschlittens auch nicht gehalten, mit einer weiteren Geschwindigkeitsreduktion auf das Entgegenkommen des Klägers schon bei dessen (wechselseitiger) Erkennbarkeit aus 43 m Entfernung zu reagieren. Allerdings ist ihm vorzuwerfen, nicht mit einer weiteren Geschwindigkeitsreduktion bzw. einem Anhalten des Motorschlittens reagiert zu haben, als er bemerkte, dass der Kläger unmittelbar auf ihn zufuhr. Die Negativfeststellung des Erstgerichts, nach der unklar blieb, ob der Unfall bei diesem rechtmäßigen Alternativverhalten unterblieben wäre, geht zu Lasten der insoweit beweisbelasteten Beklagten.
Dem steht die gravierende Unaufmerksamkeit des Klägers bei Annäherung gegenüber. Trotz Erkennbarkeit des Motorschlittens aus einer Entfernung von 43 m und der Möglichkeit, diesen ohne weiteres gefahrlos kurveninnenseitig zu passieren, fuhr er ungebremst auf diesen zu und entschied nach viel zu spät erkannter Gefahr, den Motorschlitten außenseitig zu passieren.
Gewichtet man die jeweiligen Sorgfaltsverstöße, erscheint im vorliegenden Fall die Annahme gleichteiligen Verschuldens angemessen.
Unter Zugrundelegung der vom Erstgericht festgestellten und vom Kläger nicht mehr bekämpften Schadenshöhe von (nur) 11.836,68 EUR ergibt sich daher ein Zuspruch von insgesamt 5.918,34 EUR.
Unsere Meinung dazu
Auch Einsatzkräfte müssen Rücksicht nehmen, vor allem dann, wenn damit gerechnet werden mus, dass andere die Situation nicht richtig oder nicht rechtzeitig erfassen können. Oranges Drehlicht ist nicht gleich Blaulicht. Das gilt auf der Straße wie auch auf der Piste. Außerdem kann ein bergwärts fahrender Motorschlitten leichter bremsen und ausweichen als ein talwärts fahrender Skifahrer. Inofern logisch.