Redlichkeit des Ersitzungsbesitzers
Ferdinand Bachinger
Admin | 24. März 2024
OGH vom 13.02.2024, 10 Ob 20/23y:
Mit Kaufvertrag vom 30. Jänner 1979 erwarb Mag. * A* [a.] 127/10000 und [b.] 24/10000 Miteigentumsanteile an einer Liegenschaft. Mit den Anteilen [a.] ist Wohnungseigentum an der Wohnung Top 34 und mit den Anteilen [b.] Wohnungseigentum an der Garage Top 72 verbunden.
Im der Begründung des Wohnungseigentums zugrunde liegenden – von Mag. A* unterfertigten – Wohnungseigentumsvertrag sind nach der Widmung der Miteigentümer 79 Wohnungseigentumsobjekte (54 Wohnungen und 25 Garagen) aber kein Wohnungseigentumszubehör vorgesehen.
Am 18. Mai 1990 verkaufte Mag. A* die Wohnung Top 34 „samt allem rechtlichen und tatsächlichen Zugehör“ an die erste Erwerberin. Nach deren Tod im Jahr 1998 wurde ihr gesamter Nachlass ihrer Erbin eingeantwortet. In der Folge wurde die Wohnung Top 34 zwischen 2001 und 2016 noch viermal, zuletzt an den Kläger, veräußert. In den jeweiligen Kaufverträgen erklärten die Erwerber, in den Wohnungseigentumsvertrag einzutreten; das Kaufobjekt wurde jeweils als Wohnung (Top) 34 samt Garage beschrieben.
Allen Erwerbern wurde im Zuge der Veräußerung der Wohnung auch die Garage (Top 72) übergeben und von ihnen auch genutzt. Ihnen wurden zudem von der Hausverwaltung die Betriebskosten und Annuitäten für die Garage vorgeschrieben, die sie auch bezahlten. Sie waren allesamt der Ansicht, bei der Garage handle es sich um Zubehörwohnungseigentum und betrachteten sich (demgemäß) unwidersprochen als Eigentümer der Garage.
Obwohl Mag. A* bis heute als Eigentümer der Garage Top 72 im Grundbuch eingetragen ist, nutzte er sie seit dem Verkauf an die erste Erwerberin im Jahr 1990 nicht mehr. Im September 2020 wurde über sein Vermögen das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet und der Beklagte zum Masseverwalter bestellt.
Das Erstgericht wies die auf Ersitzung gestützte und auf Zustimmung zur Einverleibung des Eigentums an den Miteigentumsanteilen [b.], verbunden mit Wohnungseigentum an der Garage Top 72, gerichtete Klage ab.
Das Berufungsgericht gab der Klage hingegen statt. Dass bei keinem Erwerbsvorgang thematisiert worden sei, dass die Garage ein eigenes Wohnungseigentumsobjekt sei, überrasche zwar. Ein Vorbringen, aufgrund welcher Umstände die Erwerber an der Rechtmäßigkeit ihres Besitzes zweifeln hätten müssen, habe der dafür beweispflichtige Beklagte aber nicht erstattet. Da Mag. A* die Garage seit dem Verkauf durch ihn nicht mehr genutzt habe und die Erwerber die Betriebskosten getragen hätten, lägen solche Umstände auch nicht vor. Angesichts dessen stehe die jeweils unterlassene Einsicht in das Grundbuch (und den Wohnungseigentumsvertrag) der Redlichkeit der einzelnen Erwerber nicht entgegen; allfällige Sorgfaltsverstöße der jeweiligen (bloßen) Vertragserrichter seien den jeweiligen Erwerbern nicht zuzurechnen.
Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil zur Frage, ob die Unkenntnis des Grundbuchstands und des Inhalts des Wohnungseigentumsvertrags die Redlichkeit des Erwerbers ausschließe, keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.
Der Beklagte bestreitet nicht, dass bei Zutreffen der dafür notwendigen Voraussetzungen die Ersitzung eines bereits bestehenden Wohnungseigentumsobjekts möglich ist. Darauf ist somit nicht weiter einzugehen.
Voraussetzungen für die Ersitzung nach § 1477 ABGB sind neben dem Zeitablauf echter und redlicher Besitz eines Rechts, das seinem Inhalt nach dem zu erwerbenden Recht entsprochen hat, und der Besitzwille. In der Revision bezweifelt der Beklagte die Redlichkeit des Besitzes und den Besitzwillen (insoweit er sich nur auf ein Zubehörobjekt und nicht auf ein Wohnungseigentumsobjekt bezogen habe) des Klägers, seiner Rechtsvorgänger (§ 1493 ABGB) und der ihnen seiner Ansicht nach zuzurechnenden Personen. Damit zeigt er aber keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.
Nach § 326 (iVm § 1463) ABGB ist redlich, wer eine Sache aus wahrscheinlichen Gründen für die Seinige hält. Redlichkeit verlangt also nicht den Glauben, Eigentümer zu sein, sondern nur den Glauben an einen gültigen Titel. Maßgeblich ist demgemäß das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der Besitzausübung, das beim Besitzerwerb und während der ganzen Ersitzungszeit vorhanden sein muss. Der gute Glaube fehlt bzw geht verloren, wenn der Besitzer positiv Kenntnis erlangt, dass sein Besitz nicht rechtmäßig ist, oder zumindest solche Umstände erfährt, die Anlass geben, an der Rechtmäßigkeit der Besitzausübung zu zweifeln, wobei bereits leichte Fahrlässigkeit die Redlichkeit ausschließt. Da die Redlichkeit nach § 328 ABGB vermutet wird, trifft den Gegner für die Fehlerhaftigkeit und Unredlichkeit des Besitzes die Behauptungs- und Beweislast.
Die Qualifikation des Verhaltens des Besitzers als redlich oder unredlich hängt von den Umständen des konkreten Falls ab und stellt daher in der Regel keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar.
Der Standpunkt des Beklagten, (potentielle) Erwerber eines Wohnungseigentumsobjekts müssten stets in das Grundbuch Einsicht nehmen, andernfalls könnten sie nicht als redlich angesehen werden, widerspricht der Rechtsprechung, wonach der Ersitzungswerber (ohne Verdachtsmomente) nicht verpflichtet ist, sich über den tatsächlichen Grundbuchstand Kenntnis zu verschaffen. Dass aus dem Grundbuch zu erkennen gewesen wäre, dass die Garage ein eigenes Wohnungseigentumsobjekt und bei der Wohnung kein Zubehör eingetragen ist, schließt die Redlichkeit daher nicht von vornherein aus.
Zwar bedarf Zubehörwohnungseigentum einer dahingehenden Widmung durch die Wohnungseigentümer. Der Beklagte legt aber nicht dar, warum sich die Erwerber im Anlassfall zwingend vom Inhalt des Wohnungseigentumsvertrags vergewissern hätten müssen. Denn Nachforschungspflichten bestehen grundsätzlich erst dann, wenn ein (indizierter) Verdacht besteht, dass die tatsächlichen Besitzverhältnisse nicht dem Grundbuchstand entsprechen. Welchen Verdachtsmomenten die Erwerber nachgehen hätten müssen, hat der Beklagte aber schon in erster Instanz nicht aufgezeigt. Allein daraus, dass nach § 5 Abs 3 Satz 3 WEG idF der WRN 2015 die Eintragung von Zubehör nicht mehr notwendig ist, lässt sich keine generelle Nachforschungspflicht ableiten. Die Ersitzung von Zubehörwohnungseigentum ist hier auch nicht zu beurteilen.
Wenn das Berufungsgericht vor dem Hintergrund dieser Grundsätze eine redliche Besitzausübung annimmt, weil die Garage den jeweiligen Erwerbern übergeben wurde und diese sie exklusiv genutzt und alle Kosten getragen haben, wohingegen Mag. A* die Garage seit dem (ersten) Verkauf nicht mehr in Anspruch genommen hat, bedarf das keiner Korrektur im Einzelfall. Es gibt auch nicht den Ausschlag, dass im ersten Kaufvertrag (aus dem Jahr 1990) die Garage nicht erwähnt wurde, weil die Rechtmäßigkeit des Besitzes keine Voraussetzung der uneigentlichen Ersitzung ist. Dafür reicht aus, dass die Garage der ersten Erwerberin im Zuge des Kaufs der Wohnung übergeben wurde und sie davon ausging, auch daran (Wohnungs-)Eigentum zu erwerben. Die uneigentliche Ersitzung hat auch gerade dann Bedeutung, wenn der Ersitzende zwar die vertragliche Einräumung von Rechten annimmt, diese aber nicht ausreichend nachweisbar ist oder ein Recht trotz ausreichenden Titels nicht verbüchert wurde.
Wenn der Beklagte den auf Erwerb von Wohnungseigentum gerichteten Besitzwillen bezweifelt, übergeht er die ständige Rechtsprechung, wonach für diesen das äußere Bild der Benützung ausschlaggebend ist. Inwiefern hier die irrtümliche rechtliche Qualifikation der Garage als Zubehör (und nicht als Wohnungseigentumsobjekt) nach außen in Erscheinung getreten sein soll, vermag der Beklagte nicht darzulegen. Er lässt auch unberücksichtigt, dass sich aus den tatsächlichen Annahmen des Berufungsgerichts der Wille aller Erwerber ergibt, an der Garage Eigentum zu erwerben. Im Übrigen behauptet der Beklagte auch nicht, dass sie den von ihm vermissten Besitzwillen bei Kenntnis der wahren Sachlage nicht gebildet hätte.
Zwar wirkt das für den Vertragsabschluss notwendige Wissen oder Wissenmüssen des Machthabers auf den Machtgeber zurück. In der Rechtsprechung ist jedoch geklärt, dass der Vertragspartei das Wissen eines vertragserrichtenden Notars oder Rechtsanwalts, den sie nur mit der Vertragserrichtung und nicht auch mit ihrer Vertretung beauftragt hat, nicht zurechenbar ist. Abgesehen davon, dass der Beklagte in erster Instanz nur die Pflichten „bloßer“ Vertragserrichter angesprochen hat, ergibt sich aus dem in dieser Hinsicht in der Revision erstmals angeführten Kaufvertrag des Klägers (Beilage ./9 Punkt VII. und XI.7) kein Vertretungsverhältnis, das die angestrebte Zurechnung rechtfertigen könnte. Fragen zu einem allfälligen Sorgfaltsverstoß der Vertragserrichter stellen sich daher nicht.
Unsere Meinung dazu
Ein mehr als kurioser Sachverhalt mit einer überzeugenden Lösung durch das Berufungsgericht und den OGH. Die Argumentation des Masseverwalters steht zwar ohnehin auf schwachen Beinen, der OGH hat aber klargemacht, dass die praktische Besitzausübung dem öffentlichen Glauben des Grundbuchs vorgeht und man nicht automatisch gezwungen ist, den tatsächlichen Grundbuchsstand zu überprüfen. Das ist bei jahrzehntelanger gutgläubiger und auch unwidersprochener Besitzausübung sachgerecht und richtig.