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Versperrobliegenheit gemäß AVB

Versperrobliegenheit gemäß AVB

OGH vom 22.11.2023, 7 Ob 180/23f:
Die Klägerin begehrte zuletzt die Zahlung von 41.200 EUR samt Zinsen an restlicher Versicherungsleistung (abzüglich einer bereits erhaltenen Zahlung von 750 EUR) für diverse beim Einbruchsdiebstahl vom 14.7.2020 abhanden gekommene – konkret bezeichnete – Gegenstände. Das nur mit Schlüssel (außen starrer Türknauf) öffenbare Eingangstor sei gewaltsam oder durch Hilfsmittel überwunden worden. Eine Versperr-Obliegenheit habe nicht bestanden, weil diese bei einem Objekt der vorliegenden Art ein Verlassen der Liegenschaft voraussetze; die Klägerin habe sich aber im Garten des versicherten Objektes aufgehalten und dieses somit nicht ungeschützt zurückgelassen.

Die Beklagte bestritt den Versicherungsfall eines Einbruchsdiebstahls, weil sich das Eingangstor ohne Gewaltanwendung mit sanftem Druck habe öffnen lassen. Der somit nur einfache Diebstahl begrenze ihre Leistungspflicht für Bargeld und Schmuck mit 750 EUR sowie für den sonstigen Wohnungsinhalt mit 7.500 EUR. Ihre Leistungsfreiheit folge aus dem jeweiligen Verlassen der Wohnungen, ohne sie im Sinn von Artikel 4 AVB zu versperren, und der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls im Sinn des § 61 VersVG.

Das Erstgericht verhielt die Beklagte zur Zahlung von 7.500 EUR samt 4 % Zinsen seit 25. 11. 2022. Das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer 32.700 EUR samt 4 % Zinsen seit 17. 4. 2021 sowie das Zinsenmehrbegehren auf Zahlung von 4 % Zinsen aus 7.500 EUR vom 17. 4. 2021 bis 24. 11. 2022 wies es ab. Die Kostenentscheidung behielt es bis zur Rechtskraft des Urteils vor. Es bejahte im Hinblick auf die festgestellte geschlossene Fallenverriegelung einen Einbruch im Sinn der Versicherungsbedingungen. Jedoch folge die Leistungsfreiheit der Beklagten für das versicherte Risiko Einbruchsdiebstahl aus der Obliegenheitsverletzung des Artikel 4 AVB. Danach sei die Wohnung zu versperren, wenn sie von allen Personen verlassen werde. Dies sei der Fall, habe sich die Klägerin doch im Garten und nicht im Wohnbereich aufgehalten. Die Obliegenheit gelte für das ebenfalls versicherte Risiko „einfacher Diebstahl“ nicht, in dem dafür begrenzten Umfang bestehe daher die Leistungsfrist der Beklagten. Der Zinsenanspruch bestehe erst ab Erhebung des Leistungsbegehrens.

Über Berufung der Klägerin änderte das Berufungsgericht das angefochtene Urteil dahin ab, dass es die Beklagte – unter Einbeziehung der in Rechtskraft erwachsenen Teile – zur Zahlung von 9.350 EUR samt 4 % Zinsen seit 25. 11. 2022 verpflichtete und das Zinsenmehrbegehren auf 4 % Zinsen aus 41.200 EUR vom 17. 4. 2021 bis 24. 11. 2022 abwies. Im Übrigen, sohin in Ansehung des weiteren Begehrens von 31.850 EUR samt 4 % Zinsen seit 25. 11. 2022 hob es das erstgerichtliche Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Die Wohnung im engeren Sinn beginne bereits ab dem Eingangstor. Das „Offensein“ diverser weiterer im Inneren befindlicher Türen (hier: Tür zum Stiegenhaus und die Türen zu den beiden Wohneinheiten) sei nicht relevant. Der verständige Versicherungsnehmer müsse ein „Verlassen“ im Sinne der Klausel nicht bereits auf den baulich umschlossenen Raum beziehen, sondern dürfe darunter ein Entfernen vom Wohnobjekt in seiner Gesamtheit verstehen. Die Obliegenheitsverletzung liege schon deshalb nicht vor, weil ein Verlassen der Wohnung im Sinn der Klausel nicht gegeben gewesen sei. Das „bloße“ Zuziehen von Außentüren bei gleichzeitigem persönlichem Aufenthalt im Bereich des Gartens sei eine übliche Gepflogenheit, die für den Vorwurf eines grob fahrlässigen Herbeiführens des Versicherungsfalles nach § 61 VersVG keinen Raum lasse. Der Höhe nach endgültig geklärt sei bereits der Ersatzanspruch für die um 9.350 EUR wiederbeschaffte Cartier-Uhr. Mangels Obliegenheitsverletzung komme die vom Erstgericht herangezogene Betragsgrenze von 7.500 EUR nicht zum Tragen, sodass im Umfang der verbleibenden Differenz (1.800 EUR) mit entsprechender Urteilsänderung vorzugehen gewesen sei. Im Übrigen sei aufgrund einer vom Berufungsgericht nicht geteilten Rechtsansicht noch keine ausreichende Feststellungsgrundlage für die verbleibenden Ansprüche geschaffen worden, sodass insoweit mit Urteilsaufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Erstgericht vorgegangen werden müsse.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision und der Rekurs zulässig seien, weil die Frage, ob ein „Verlassen der Wohnung“ bei einem ländlichen Zweifamilienobjekt schon beim Betreten des Hausgartens vorliege, vom Obersten Gerichtshof bisher noch nicht beurteilt worden sei.

Nach Art 4 AVB ist eine Wohnung zu versperren, wenn sie von allen Personen verlassen wird. Im Revisions- und Rekursverfahren ist daher die Frage zu klären, ob dies beim Betreten des Hausgartens der Fall ist.

Nach ständiger Rechtsprechung sind allgemeine Versicherungsbedingungen entsprechend den Grundsätzen der Vertragsauslegung nach den §§ 914, 915 ABGB auszulegen. Die Auslegung hat sich am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers zu orientieren. Die Klauseln sind, wenn sie – wie hier – nicht auch Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen. Zu berücksichtigen ist in allen Fällen der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Versicherungsbedingung. Bei Unklarheiten findet § 915 ABGB Anwendung. Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherer.

Die Haushaltsversicherung bietet grundsätzlich Versicherungsschutz für die Wohnung in engerem Sinn, also für jene Räume, die der Versicherungsnehmer durch Versperren von der allgemeinen Benutzung ausschließt. Artikel 4 AVB enthält in diesem Zusammenhang eine Obliegenheit, mit dem jedem Versicherungsnehmer erkennbaren Zweck, ein unbefugtes Eindringen unmöglich zu machen oder zumindest erheblich zu erschweren.

Art 4 AVB enthält die Wortfolge „Verlassen der Wohnung“. Unter Wohnung wird der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer die versicherten Wohnräumlichkeiten verstehen. Diese erfahren ihre Spezifizierung im Versicherungsvertrag.

Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass die Beklagte laut Police Versicherungsschutz für das Wohnhaus (ebenerdig 178 m² Innenfläche, Keller 64 m² Innenfläche, Stockwerk 129 m² Innenfläche, Mansarde 50 m² Innenfläche, Nebengebäude auf dem Versicherungsgrundstück [nicht für Wohnzwecke geeignet] bis zu einer Gesamtfläche von 35 m²) an der näher angeführten Adresse übernimmt. Versichert sind hier die Innenflächen des Wohnhauses, nicht nur jene der Wohnungen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass das Wohnhaus als Mehrgenerationenhaus innerhalb einer Familie unter anderem zwei Wohneinheiten umfasst.

Die versicherten Wohnräumlichkeiten werden durch das Eingangs- und Gartentor von einer allgemeinen Benützung ausgeschlossen. Die Versperrobliegenheit bezieht sich damit auf diese Tore und nicht auf die im Inneren des Wohnhauses befindlichen Türen. Als Verlassen der versicherten Wohnräumlichkeiten wird der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer das Entfernen vom Versicherungsobjekt in seiner Gesamtheit verstehen, also einschließlich der zur Risikoadresse gehörenden üblichen Außenbereiche wie Terrassen, Vor- oder Hausgärten. Keinesfalls wird er annehmen, durch einen Aufenthalt in seinem Garten, das Objekt zu verlassen und damit – ohne sämtliche Türen und Fenster zu versperren – unbefugtes Eindringen zu ermöglichen oder zu erleichtern. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, vor dem Hintergrund, dass sich die Klägerin im Garten aufhielt, bewirke das unversperrte Eingangstor keine Verletzung der Versperrobliegenheit, ist zutreffend.

Der Versicherer ist leistungsfrei, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall im Sinn des § 61 VersVG grob fahrlässig herbeigeführt hat. Dabei handelt es sich um einen (verhaltensabhängigen) Risikoausschluss. Grobe Fahrlässigkeit im Sinn der zitierten Gesetzesstelle liegt vor, wenn sich das Verhalten des Schädigers aus der Menge der sich auch für den sorgsamsten nie ganz vermeidbaren Fahrlässigkeitshandlungen des täglichen Lebens als eine auffallende Sorglosigkeit heraushebt. Dabei wird ein Verhalten vorausgesetzt, von dem der Handelnde wusste oder wissen musste, dass es geeignet ist, den Eintritt eines Schadens zu fördern. Die Schadenswahrscheinlichkeit muss offenkundig so groß sein, dass es ohne Weiteres naheliegt, zur Vermeidung eines Schadens ein anderes Verhalten als das tatsächlich geübte in Betracht zu ziehen. Zur Annahme grobe Fahrlässigkeit ist es erforderlich, dass bei Vorliegen eines objektiv groben Verstoßes dem Kläger dies auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist. Als brauchbare Anhaltspunkte, von denen die Beurteilung im Einzelnen abhängen kann, kommen die Gefährlichkeit der Situation, die zu einer Sorgfaltsanpassung führen sollte, der Wert der gefährdeten Interessen, das Interesse des Handelnden an seiner Vorgangsweise und schließlich die persönlichen Fähigkeiten des Handelnden in Betracht. In diesem Sinn ist im Versicherungsvertragsrecht anerkannt, dass grobe Fahrlässigkeit dann gegeben ist, wenn schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedermann einleuchten müssen. Eine Reihe jeweils für sich alleine nicht grob fahrlässiger Fehlhandlungen kann in ihrer Gesamtheit grobe Fahrlässigkeit begründen. Voraussetzung ist, dass sie in ihrer Gesamtheit als den Regelfall weit übersteigende Sorglosigkeit anzusehen sind.

Die Beurteilung des Berufungsgerichts, das (bloße) Zuziehen von Außentüren bei gleichzeitigem persönlichen Aufenthalt im Garten des versicherten Objekts sei eine ausreichend übliche Gepflogenheit, die dem Vorwurf eines grob fahrlässigen Herbeiführens des Versicherungsfalls nach § 61 VersVG keinen Raum lasse, ist nicht zu beanstanden.

Auch der von der Beklagten herangezogene Umstand, wonach die Klägerin sich mehr als 1 Stunde für Arbeiten im Garten aufgehalten habe, die es ihr nicht ermöglicht hätten, den Eingang und die Türen im Blick zu behalten, begründet keine grobe Fahrlässigkeit.

Unsere Meinung dazu

Interessante Entscheidung des OGH, die überraschend versicherungsnehmerfreundlich ausfällt. Es zählt demnach nicht wie Wohnungs- oder Haustür, die versperrt werden muss, sondern das Eingangs- oder Gartentor. Derartige Tore sind in der Regel leicht überwindbar, sodass die bedingungsgemäße Versperrobliegenheit nur mehr wenig Wirkung hat. Zumal die Entscheidung auf einer Auslegung der Versicherungsbedingungen beruht, werden die Versicherungen ihre Bedingungen wohl anpassen bzw. präzisieren.