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Wandlung und Verbraucherschutz

Wandlung und Verbraucherschutz

OGH vom 27.09.2023, 9 Ob 41/23d:
Die Beklagte betreibt unter anderem einen Gebrauchtwagenhandel und eine Kfz-Werkstätte. Die Kläger erwarben von ihr am 18. Mai 2022 einen gebrauchten Pkw der Marke Peugeot 308 SW für ihren persönlichen Gebrauch. Die Kläger inspizierten das Fahrzeug von außen und starteten den Motor, eine Probefahrt machten sie allerdings nicht. Der Mitarbeiter der Beklagten, der sie bei der Besichtigung beriet, erklärte ihnen, dass das Fahrzeug servicegepflegt sei und „alle Pickerl“ habe. Die Kläger entschieden sich in der Folge dafür, das Fahrzeug zu kaufen, und vereinbarten mit der Beklagten einen Kaufpreis von 12.500 EUR. Im Kaufvertrag ist die Zustands-Klassifizierung 3 („genügend fahrbereit“) festgehalten.

Das Fahrzeug wies im Zeitpunkt der Übergabe am 25. Mai 2022 unter anderem folgenden Zustand auf:
Das rechte Hinterrad (Felge) war deformiert und geschürft (tiefer als 1 mm). Aufgrund des Schadens am rechten Hinterrad entsprach das Fahrzeug insgesamt nicht der Zustandsklasse 3, sondern nur der Zustandsklasse 4. Das Fahrzeug war aus diesem Grund nicht verkehrs- und betriebssicher. Die massiv geschürfte und verbogene Felge war für einen Laien nicht leicht erkennbar. Der Austausch der Felge rechts hinten gegen eine originale Felge würde gewerbliche Reparaturkosten von 316,76 EUR brutto ergeben.

Der Zweitkläger kontaktierte die Beklagte (noch am selben Tag) telefonisch und forderte sie sofort auf, den Kaufpreis – gegen Rückgabe des Fahrzeugs – zurückzuüberweisen. Die Beklagte ersuchte den Zweitkläger daraufhin, das Fahrzeug in ihre Werkstätte zur Überprüfung und allfälligen Behebung von Schäden zu bringen. Der Zweitkläger kam diesem Ersuchen nicht nach und beauftragte in der Folge einen Rechtsanwalt, der ein Aufforderungsschreiben an die Beklagte richtete und darin ebenfalls die sofortige Rückabwicklung des Kaufvertrags forderte. Die Kläger begehren von der Beklagten die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Ihnen sei ein mängelfreies Auto zugesagt worden, das sich in einem guten Zustand befinde. Bei Übergabe habe unter anderem ein schwerer Mangel an der rechten hinteren Felge bestanden, der die Verkehrs- und Betriebssicherheit bereits zu diesem Zeitpunkt ausgeschlossen habe. Allein aufgrund dieses Umstands und aufgrund des Gesamtzustands seien die Kläger berechtigt, vom Kaufvertrag zurückzutreten.

Die Beklagte bestritt und beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Kläger seien über den Zustand des Fahrzeugs aufgeklärt worden. Hinsichtlich der schadhaften Felge sei der Beklagten nicht die Möglichkeit gegeben worden, eine Verbesserung durchzuführen. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Schaden am rechten Hinterrad (Felge) sei nicht explizit offengelegt worden und verhindere schon für sich alleine die Zuordnung des Fahrzeugs in die – vertraglich zugesicherte – Zustandsklasse 3. Es handle sich um einen schweren Mangel, der einerseits zu einer Abstufung der Zustandsklasse in Klasse 4 und andererseits zum Wegfall der Verkehrs- und Betriebssicherheit führe. Der Mangel stelle ein Sicherheitsrisiko dar und sei somit derart schwerwiegend iSd § 12 Abs 4 Z 1 des Bundesgesetzes über die Gewährleistung bei Verbraucherverträgen oder digitale Leistungen – Verbrauchergewährleistungsgesetz (VGG), dass eine sofortige Preisminderung oder Vertragsauflösung gerechtfertigt sei. Das Fehlen einer ausdrücklich vereinbarten Eigenschaft sei grundsätzlich so bedeutsam, dass nicht mehr von einer Geringfügigkeit des Mangels gesprochen werden könne.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und bestätigte das erstgerichtliche Urteil unter Hinweis auf § 500a ZPO. Soweit die Beklagte anzweifle, dass das Fahrzeug einen schweren sicherheitsrelevanten Mangel aufweise, und die Verkehrs- und Betriebssicherheit nicht zugesagt worden sei, gehe sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Es komme nicht darauf an, wie leicht oder schwer der Mangel zu beheben sei, sondern dass aufgrund des Mangels ein Sicherheitsrisiko bestanden habe. Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil noch keine höchstgerichtliche Judikatur zu § 12 Abs 4 Z 1 VGG und der Frage vorliege, wann ein Mangel derart schwerwiegend sei, dass eine sofortige Preisminderung oder Vertragsauflösung gerechtfertigt sei und ob ein leicht behebbarer aber schwerwiegender Mangel, wie im gegenständlichen Fall, zu einer sofortigen Vertragsauflösung nach § 12 Abs 5 VGG berechtige.

Im Revisionsverfahren ist nicht strittig, dass der Schaden am rechten Hinterrad (Felge) des Fahrzeugs einen Mangel darstellt, aufgrund dessen die Beklagte zur Gewährleistung nach § 12 Abs 1 VGG verpflichtet ist.

Die Beklagte wendet sich im Rechtsmittel (ausschließlich) gegen die Beurteilung des vorliegenden Mangels als schwerwiegend iSd § 12 Abs 4 Z 1 VGG und nicht geringfügig iSd § 12 Abs 5 VGG. Der Beklagten sei der Mangel nicht bekannt gewesen und auch der Sachverständige habe ihn bei der ersten Begutachtung nicht erkannt. Auch aufgrund der geringen Reparaturkosten könne eine Vertragsauflösung nicht gerechtfertigt sein. Außerdem habe das Erstgericht nicht festgestellt, dass ein schwerwiegender und nicht geringfügiger Mangel vorliege oder dass die Verkehrs- und Betriebssicherheit von der Beklagten zugesichert worden wäre. Die fehlende Verkehrs- und Betriebssicherheit bedeute nicht unmittelbar, dass ein schwerwiegender oder ein nicht geringfügiger Mangel vorliege.

Das Recht, den Preis zu mindern oder den Vertrag aufzulösen, hat der Verbraucher nach § 12 Abs 4 Z 1 VGG nur dann, wenn der Mangel derart schwerwiegend ist, dass eine sofortige Preisminderung oder Vertragsauflösung gerechtfertigt ist.

Daraus ergibt sich, dass ein schwerwiegender Mangel, der zum sofortigen Umstieg auf die sekundären Gewährleistungsbehelfe berechtigt, jedenfalls dann vorliegt, wenn er die Möglichkeit des Verbrauchers zur normalen Verwendung der Sache ernsthaft beeinträchtigt und darüber hinaus sicherheitsrelevant ist. Die Frage, ob (und bejahendenfalls wie einfach oder kostengünstig) der vertragsgemäße Zustand herstellbar ist, stellt sich bei einem solchen Mangel nicht, weil weder § 12 Abs 4 Z 1 VGG noch Art 13 Abs 4 lit c bzw Erwägungsgrund 52 WKRL darauf abstellen. Auch in dem in den Gesetzesmaterialien genannten und der Regelung der WKRL zugrunde gelegten Beispiel eines fabriksneuen Mountainbikes, das nur mit gänzlich unzureichenden Bremsen geliefert wird, spielt eine Verbesserungsmöglichkeit keine Rolle. Wegen des – angesichts der Natur des Mangels und seiner möglichen Auswirkungen nachvollziehbaren – Verlusts des Vertrauens soll dem Verbraucher eine (wenn auch einfach und kostengünstig mögliche) Verbesserung eben nicht zugemutet werden. Überdies setzt der Tatbestand des § 12 Abs 4 Z 1 VGG die Möglichkeit einer Verbesserung oder des Austauschs geradezu voraus, weil die Unmöglichkeit von Verbesserung und Austausch ohnedies – unabhängig von der Schwere des Mangels – zum sofortigen Umsteigen auf die sekundären Gewährleistungsbehelfe berechtigen würde.

Damit ist nicht gesagt, dass jeder schwerwiegende Mangel zur Vertragsauflösung führen muss, die den Unternehmer im Vergleich zur Herstellung des vertragsgemäßen Zustands tendenziell stärker belastet. Hier geht es lediglich um die Frage, ob der Verbraucher zu einem sofortigen Umstieg auf die sekundären Gewährleistungsbehelfe berechtigt ist, wozu auch die Preisminderung zählt, die für den Unternehmer in ihren Auswirkungen weniger belastend als eine Vertragsauflösung ist. Die Abwägung, zu welchem dieser Gewährleistungsbehelfe der Mangel konkret berechtigt und welcher Belastung sich der Unternehmer somit ausgesetzt sieht, erfolgt aber im Rahmen der Prüfung, ob der Mangel geringfügig iSd § 12 Abs 5 VGG ist. Die Beklagte geht in ihrem Rechtsmittel selbst davon aus, dass der Schaden an der Felge des rechten Hinterrads dazu führte, dass das Fahrzeug im Zeitpunkt der Übergabe insgesamt nicht den Erfordernissen der Verkehrs- und Betriebssicherheit entsprach. Die Möglichkeit der Kläger zur normalen Verwendung des Fahrzeugs ist ernsthaft beeinträchtigt, weil der Mangel einer positiven Begutachtung nach § 57a KFG entgegen steht. Der Umstand, dass tatsächlich – aus welchem Grund immer – eine positive Begutachtung nach § 57a KFG erfolgte, ändert daran nichts, weil ungeachtet dessen die Aufhebung der Zulassung droht (§ 44 Abs 1 lit a KFG). Die Revision wendet sich auch nicht gegen die übereinstimmende Beurteilung der Vorinstanzen, dass der Mangel ein Sicherheitsrisiko darstelle (nach Anlage 6 iVm § 10 Abs 2 Z 4 Prüf- und Begutachtungsstellen-verordnung kommt bei solchen Mängeln sogar Gefahr in Verzug in Betracht).

Die mit einem Sicherheitsrisiko verbundene Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs rechtfertigt die Annahme eines Vertrauensverlusts aber jedenfalls, und zwar unabhängig davon, ob man die Schwere des Mangels als allein ausschlaggebend ansieht oder dafür noch das Vorliegen zusätzlicher Elemente (hier: das Sicherheitsrisiko) fordert, sodass kein Anlass für ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH besteht. Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten ist für diese Beurteilung nicht entscheidend, ob ihr eine besondere Sorglosigkeit und Nachlässigkeit zum Vorwurf zu machen ist, weil sie das Vorliegen dieses Mangels nicht erkannt hatte. Nach der klaren Absicht des Gesetzgebers muss sich der Vertrauensverlust nicht primär auf die Person des Unternehmers beziehen, sondern kann auch aus der Natur des Mangels abgeleitet werde. Soweit die Beklagte in der Revision schließlich ausführt, dass nicht festgestellt worden sei, dass ein schwerwiegender Mangel vorliege, übersieht sie, dass es sich dabei nicht um eine Tatfrage, sondern um eine Frage der rechtlichen Beurteilung handelt.

Daraus ergibt sich, dass die Kläger der Beklagten keine Gelegenheit zur Herstellung des mangelfreien Zustands geben mussten, sondern sogleich die sekundären Gewährleistungsbehelfe der Vertragsauflösung oder der Preisminderung in Anspruch nehmen konnten, wobei die Kläger die Vertragsauflösung verlangten.

Nach § 12 Abs 5 VGG – auf den sich die Beklagte beruft – kann der Verbraucher den Vertrag allerdings nicht auflösen, wenn der Mangel nur geringfügig ist; Zweifel über die Geringfügigkeit des Mangels gehen dabei zu Lasten des Unternehmers. Diese Bestimmung entspricht – mit Ausnahme der Zweifelsregel – der bisherigen Rechtslage, sodass auf die vorhandene Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zurückgegriffen werden kann.

Bei der Prüfung, ob ein die Vertragsauflösung ausschließender geringfügiger Mangel vorliegt, ist eine auf den konkreten Vertrag und die Umstände des Einzelfalls bezogene objektive Abwägung der Interessen der Vertragspartner vorzunehmen, bei der sowohl die Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit der Aufhebung des Vertrags im Hinblick auf die damit verbundenen Folgen für die Parteien, aber auch die „Schwere“ des Mangels zu berücksichtigen sind. Das Fehlen einer ausdrücklich vereinbarten Eigenschaft ist nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs grundsätzlich so bedeutsam, dass nicht mehr von einer Geringfügigkeit des Mangels gesprochen werden kann.

Eine ausdrücklich vereinbarte Eigenschaft liegt vor, wenn der Käufer ausdrücklich oder zumindest schlüssig ein besonderes Interesse an gerade dieser Eigenschaft deutlich gemacht hat. Der Beklagten ist darin zuzustimmen, dass nicht festgestellt wurde, dass die Kläger ein besonderes Interesse an einer bestimmten Eigenschaft ausdrücklich bekundeten. Nach der Rechtsprechung gilt die Fahrbereitschaft eines Gebrauchtwagens – und damit seine Verkehrs- und Betriebssicherheit – im Falle eines Kaufs beim gewerblichen Kraftfahrzeughändler mit Werkstättenbetrieb aber als schlüssig zugesichert. Warum angesichts dieser Rechtsprechung im vorliegenden Fall nicht von einer ausdrücklich zugesicherten Eigenschaft auszugehen sein soll, lässt sich der Revision der Beklagten nicht nachvollziehbar entnehmen.

Soweit die Beklagte überdies den Standpunkt vertritt, dass die Vorinstanzen keine Interessenabwägung durchgeführt hätten und diese ergäbe, dass der vorliegende Mangel als geringfügig iSd § 12 Abs 5 VGG anzusehen sei, legt sie nicht konkret dar, aufgrund welcher Überlegungen die Interessenabwägung zu ihren Gunsten auszufallen hätte. Die Schwere des – sicherheitsrelevanten – Mangels spricht jedenfalls gegen die Geringfügigkeit. Die Behebbarkeit des Mangels und ein allfälliger geringer Behebungsaufwand sind für die Beurteilung der Geringfügigkeit des Mangels – entgegen der offenbaren Rechtsansicht der Beklagten – nicht allein ausschlaggebend. Der Oberste Gerichtshof hat auch bereits ausgesprochen, dass das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit von Personen grundsätzlich schwerer wiegt als finanzielle Interessen des Verkäufers. Auch ohne Berücksichtigung des Umstands, dass dem Fahrzeug eine ausdrücklich vereinbarte Eigenschaft fehlte, würde eine Abwägung der Interessen im vorliegenden Fall somit nicht zu einer Beurteilung des Mangels als nur geringfügig iSd § 12 Abs 5 VGG führen.

Der hier vorliegende – ein schweres Sicherheitsrisiko darstellende – Mangel, der die Möglichkeit des Verbrauchers zur bestimmungsgemäßen Verwendung der Sache ernsthaft beeinträchtigt, berechtigt die Kläger zum Umstieg auf die sekundären Gewährleistungsbehelfe.

Da dieser Mangel im vorliegenden Fall auch nicht nur als geringfügig iSd § 12 Abs 5 VGG zu qualifizieren ist, kam den Klägern das Recht zu, den Vertrag nach § 12 Abs 4 Z 1 VGG aufzulösen. Auf die in der Revisionsbeantwortung behaupteten weiteren Mängel, muss mangels Relevanz nicht eingegangen werden. Andere gegen die Berechtigung des Klagebegehrens sprechende Umstände macht die Beklagte in der Revision nicht geltend, sodass ihr nicht Folge zu geben war.

Unsere Meinung dazu

Das Verbrauchergewährleistungsgesetz (VGG) bietet dem Verbraucher deutlich erweiterte Möglichkeiten. Der OGH hat sich in dieser Entscheidung ausführlich mit dem VGG und dessen Auslegung nach der EU-Richtlinie beschäftigt und ist zum Ergebnis gelangt, dass Verbraucher nicht erst Verbesserung (Reparatur) fordern müssen, sondern bei schwerwiegenden und sicherheitsrelevanten Mängeln sofort den Kaufpreis zurückverlangen können. Das mag hart sein für Unternehmer, erscheint aber sachgerecht. Der Handel wird sich darauf einstellen müssen, dass Verbrauchern gegenüber alle Eigenschaften eines Kaufgegenstandes offenzulegen sind. Mangelhafte Gebrauchtfahrzeuge werden damit künftig auch für die Händler zum Risiko.