Mitverschulden gemäß § 1304 ABGB
Ferdinand Bachinger
Admin | 26. Oktober 2023
OGH vom 19.09.2023, 2 Ob 149/23k:
Die T* GmbH, deren Geschäftsführer der Kläger ist, wurde von der Zweitbeklagten, die ihrerseits von der Erstbeklagten mit Baumeisterarbeiten beauftragt war, als Subunternehmerin mit Innenputzarbeiten betraut.
Im April 2020 brach eine von Mitarbeitern der Zweitbeklagten als Verlängerung der Balkonbetonplatte aus Schalungsmaterial errichtete Plattform bei Betreten des Klägers (zur Schuttentfernung in eine darunter aufgestellte Bauschuttmulde) aufgrund der mangelnden Verbindung der Plattformteile zusammen.
Die (provisorische) Plattform diente der Lagerung von (auch mehrere 100 Kilogramm schweren) Baumaterialien und deren Transport ins Gebäudeinnere. Auch die Putzmaschine der T* GmbH war über die Plattform ins Gebäudeinnere gebracht worden.
Zum Unfallzeitpunkt war keine Absturzsicherung vorhanden. Der Kläger hatte die bereits eingebaute Balkontür vor Verlassen des Hauses mit einem provisorischen Türgriff geöffnet. Er hätte den Schutt auch über das Stiegenhaus in die Bauschuttmulde entsorgen können. Die fehlende Verbindung der Plattformteile konnte der Kläger nicht erkennen.
Das Erstgericht ging in seinem Teilzwischen- und Teilurteil von einem gleichteiligen Verschulden aus.
Das Berufungsgericht lastete dem Kläger ein Mitverschulden im Ausmaß von einem Viertel an. Die nicht vorhandene Absturzsicherung sei für den Sturz nicht kausal gewesen. Auch habe der Kläger die für den Unfall ursächliche fehlende Verbindung der Plattformteile nicht erkennen können. Allerdings müsse er als selbständiger Gewerbetreibender und Bau- und Gewerkausführender die Sicherheitsbestimmungen für seine Mitarbeiter und sich beachten und hätte den Balkon aufgrund der ersichtlich fehlenden Absturzsicherung nicht betreten dürfen. Dass er die Instabilität nicht erkennen habe können, führe zu einem Mitverschulden von einem Viertel.
Der Kläger argumentiert zusammengefasst, die Instabilität habe er nicht erkennen können und die erkennbar fehlende Absturzsicherung sei nicht ursächlich gewesen, sodass ihm kein Mitverschulden anzulasten sei.
Das Mitverschulden im Sinne des § 1304 ABGB setzt kein Verschulden im technischen Sinne voraus. Auch Rechtswidrigkeit des Verhaltens ist nicht erforderlich. Es genügt vielmehr eine Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern, worunter auch die Gesundheit fällt.
Eine Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern liegt dann vor, wenn jene Sorgfalt außer Acht gelassen wird, die nach dem allgemeinen Bewusstsein der beteiligten Kreise von jedem Einsichtigen und Vernünftigen eingehalten worden wäre, um eine Schädigung zu verhindern. Dies setzt voraus, dass die Gefahr erkannt wurde oder zumindest bei gehöriger Sorgfalt erkennbar gewesen wäre.
Einer Sorglosigkeit kommt nur dann Relevanz zu, sofern sie für den Schaden kausal ist. Wirkt sich sorgloses Verhalten gegenüber eigenen Rechtsgütern nicht kausal auf den Eintritt oder die Höhe des Schadens aus, führt dies nicht zur Entlastung des Schädigers. Diesen Schaden hat er voll zu ersetzen.
Darüber hinaus bedarf es eines „Mitverschuldenszusammenhangs“. Soweit das Mitverschulden aus der Verletzung eines Schutzgesetzes resultiert, ist danach zu fragen, ob die übertretene Norm ein Schadensereignis wie das eingetretene verhindern wollte. Der „Mitverschuldenszusammenhang“ ist aber auch abseits von Schutzgesetzverletzungen beachtlich. Es unterliegen zusammengefasst daher nur jene Schäden der Teilung, derentwegen das Verhalten des Geschädigten als unvorsichtig bzw. sorglos anzusehen ist.
Der Kläger hat sich seine Verletzungen nicht durch einen auf die fehlende Absturzsicherung zurückzuführenden Sturz zugezogen. Die Gefahr der fehlenden Absturzsicherung hat sich nicht verwirklicht. Die Anrechnung eines Mitverschuldens aufgrund einer Sorglosigkeit im Zusammenhang mit dem Betreten der Plattform trotz fehlender Absturzsicherung kommt daher mangels Mitverschuldenszusammenhangs nicht in Betracht.
Ursächlich für den Sturz war vielmehr die fehlende Verbindung der Plattformteile und die sich daraus ergebende Gefahr der Instabilität. Diese konnte der Kläger nach den Feststellungen aber nicht erkennen, sodass insoweit die Anrechnung eines Mitverschuldens ausscheidet.
Berücksichtigt man überdies, dass die Plattform zuvor sogar für die Lagerung schwerer Lasten (Ziegelpalette) und die Beförderung schwerer Maschinen in das Gebäude genutzt wurde, kann dem Kläger im Zusammenhang mit dem bloßen Betreten der Plattform zur Schuttentsorgung kein Mitverschulden angelastet werden.
Es war daher mit Teilzwischenurteil auszusprechen, das das Zahlungsbegehren dem Grunde nach (zur Gänze) zu Recht besteht. Ein Zwischenurteil auch zum schadenersatzrechtlichen Feststellungsbegehren kommt hingegen nicht in Betracht, weil für die Bejahung des Anspruchsgrundes alle Anspruchsvoraussetzungen, also auch das – bisher nicht geklärte – rechtliche Feststellungsinteresse, feststehen müssten, dann aber schon eine Endentscheidung über den Feststellungsanspruch gefällt werden könnte.
Unsere Meinung dazu
Eine interessante und logische Entscheidung des OGH. Ein Mitverschulden greift nur dann, wenn man auffallend sorglos gegenüber den eigenen Gütern (z.B. der eigenen Gesundheit) handelt und sich die Gefahr durch die Sorglosigkeit verwirklicht, also wenn ein Mitverschuldenszusammenhang besteht. Ist das nicht der Fall, dann trifft einen kein Mitverschulden.