Zum Diesel Abgas-Thermofenster
Ferdinand Bachinger
Admin | 22. Oktober 2023
OGH vom 19.09.2023, 2 Ob 5/23h:
Die Kläger kauften am 27. April 2015 von der Erstbeklagten einen Audi Q3 um 35.850 EUR, der einen Kilometerstand von 201 km aufwies. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe EA189 ausgestattet, verfügt über eine EG-Betriebserlaubnis vom 28. April 2014 und ist gemäß VO (EG) Nr. 715/2007 nach der Abgasnorm Euro 5 zertifiziert. Bei Übergabe des Fahrzeugs an die Kläger war darin eine Motor-Software verbaut, die erkannte, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand (NEFZ) (= Modus 1) oder im normalen Fahrbetrieb im Straßenverkehr befand (= Modus 0; in der Folge auch: Umschaltlogik). So wurde die Abgasrückführung im NEFZ erhöht, wodurch es zu einer Reduktion der Stickstoff (NOx) Emissionen kam. Das Fahrzeug war damit zum Zeitpunkt der Übergabe nicht betriebs- und verkehrssicher.
Im Herbst 2015 forderte das deutsche Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) die Zweitbeklagte sowie die A* AG auf, diese unzulässige Abschalteinrichtung bei allen Fahrzeugen mit dem Aggregat EA189 Euro 5 zu entfernen. Seit Ende November 2016 stand eine mit dem KBA abgestimmte und von diesem freigegebene technische Maßnahme zur Entfernung der Abschalteinrichtung zur Verfügung. Am 27. Jänner 2017 ließen die Kläger am Fahrzeug ein kostenloses Software-Update durchführen.
Das Software-Update entfernte die Möglichkeit zum Umschalten beim Durchfahren des NEFZ auf dem Prüfstand, das Fahrzeug kann seither nur mehr in einem Modus (Modus 1) betrieben werden. Seit dem Update ist das Fahrzeug an sich betriebs- und verkehrssicher, die Typengenehmigung ist ebenso wie die Zulassung zum Straßenverkehr aufrecht. Allerdings besteht grundsätzlich die Möglichkeit einer Betriebsuntersagung und -beschränkung durch die Zulassungsbehörde, wenn ein Fahrzeug nicht dem genehmigten Typ entspricht. Im Normalbetrieb im Straßenverkehr wird der Grenzwert von 180 mg/km NOx überschritten.
Der schadstoffarme Modus, also die erhöhte Aktivierung der Abgasrückführung, wird (auch) nach dem Software-Update nur im Temperaturbereich zwischen 15 und 33 Grad Celsius und auch nur unter 1.000 Höhenmetern in vollem Umfang verwendet (sogenanntes Thermofenster). Die volle Abgasrückführung ist in Österreich damit im Durchschnitt nur in etwa 50 % der Nutzungszeit aktiviert. Das Thermofenster ist eine vorgreifende Bauteilschonung. Es war bereits bei Übergabe des Fahrzeugs verbaut und besteht auch nach Durchführung des Updates weiterhin. Eine unbedingte Notwendigkeit des Thermofensters, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten, liegt angesichts der anderen vorhandenen technischen Möglichkeiten dafür nicht vor.
Gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO 715/2007/EU ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Eine Abschalteinrichtung ist nach der Legaldefinition des Art. 3 Ziff. 10 VO 715/2007/EU ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
Art. 5 Abs. 2 Satz 2 VO 715/2007/EU normiert drei Ausnahmetatbestände vom Verbot von Abschalteinrichtungen. Gemäß Art. 5 Abs. 2 lit. a VO 715/2007/EU ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen dann nicht unzulässig, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Kraftfahrzeugs zu gewährleisten.
Nach den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen ist auch das nach dem Software-Update (weiterhin) vorhandene Thermofenster aus folgenden Erwägungen als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren:
In Beantwortung eines Vorabentscheidungsersuchens des Obersten Gerichtshofs führte der Europäische Gerichtshof aus (C-145/20), dass Art. 5 Abs. 2 lit. a VO 715/2007/EU dahin auszulegen ist, dass eine Abschalteinrichtung, die insbesondere die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt, nach dieser Bestimmung allein unter der Voraussetzung zulässig sein kann, dass nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, kann jedenfalls nicht unter die in Art. 5 Abs. 2 lit. a VO 715/2007/EU vorgesehene Ausnahme fallen.
Nach der von den Beklagten erkennbar in Anspruch genommenen Ausnahmebestimmung des Art. 5 Abs. 2 lit. a VO 715/2007/EU muss die Abschalteinrichtung, um zulässig zu sein, notwendig sein, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. In Anbetracht der Tatsache, dass die Ausnahme eng auszulegen ist, kann eine solche Abschalteinrichtung nur dann ausnahmsweise zulässig sein, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführsystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Dabei ist eine Abschalteinrichtung nur dann „notwendig“ im Sinn der Art. 5 Abs. 2 lit. a VO 715/2007/EU, wenn zum Zeitpunkt der EG-Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann (10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 Rz 57 bis 60 mwN).
Ausgehend von den für die abschließende rechtliche Beurteilung ausreichenden Feststellungen des Erstgerichts bestand im Hinblick auf vorhandene Alternativen keine unbedingte technische Notwendigkeit zum Einsatz des Thermofensters. Schon aus diesem Grund ist das hier zu beurteilende Thermofenster als unzulässig zu qualifizieren, ohne dass es auf die Umgebungsbedingungen, unter denen das Thermofenster seine volle Wirkung entfaltet, entscheidend ankäme. Ein sekundärer Feststellungsmangel zur Überschreitung der Emissionsgrenzwerte – sofern man eine solche Feststellung überhaupt für notwendig erachtet – liegt schon im Hinblick auf die vom Erstgericht zu dieser Frage getroffene Feststellung keinesfalls vor.
Da das Software-Update nach den Feststellungen nur zum Austausch einer unzulässigen Abschalteinrichtung durch eine andere unzulässige Abschalteinrichtung führte, liegt auch nach der angebotenen und im Anlassfall auch durchgeführten Verbesserung durch das Software-Update weiterhin ein Sachmangel in Form einer unzulässigen Abschalteinrichtung vor.
Da der Übernehmer schon bei Misslingen des ersten Verbesserungsversuchs den Sekundärbehelf (hier: Wandlung) in Anspruch nehmen kann und – im Revisionsverfahren unstrittig – kein geringfügiger, eine Wandlung ausschließender Mangel vorliegt, ist das gegen die Erstbeklagte gerichtete Wandlungsbegehren aus dem Titel der Gewährleistung insgesamt berechtigt.
Die Zweitbeklagte haftet den Klägern aus Schadenersatz wegen arglistiger Irreführung.
Unsere Meinung dazu
Diese Entscheidung folgt der bisherigen Logik der Judikatur zum Diesel Abgasskandal. Selbst wenn die unzulässige Abschaltvorrichtung entfernt wird, darf keine neue Abschaltvorrichtung an ihre Stelle treten. Auch ein Thermofenster stellt eine solche Abschaltvorrichtung dar. Bei einem Thermofenster funktioniert die Abgasreinigung nur in einem bestimmten Temperaturfenster und bei einer bestimmten Seehöhe. Sofern nach dem Stand der Technik Alternativen dazu bestanden hätten, durfte eine solche Abschaltvorrichtung nicht verbaut werden. Der OGH nimmt den EuGH damit ziemlich wörtlich und das wohl zu Recht.