Freiheitsersitzung durch Widerstand

Ferdinand Bachinger
Admin | 20. August 2023
OGH vom 31.05.2023, 2 Ob 241/22p
Dienstbarkeiten verjähren durch bloßen Nichtgebrauch gewöhnlich in 30 Jahren (§ 1479 ABGB). § 1488 ABGB verkürzt diesen Zeitraum auf drei aufeinander folgende Jahre, wenn sich der Verpflichtete über diese gesamte Zeit der Ausübung der Dienstbarkeit widersetzt und der Berechtigte sein Recht, ohne richterliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, nicht geltend macht („Freiheitsersitzung“); auch dabei handelt es sich um einen Fall der Verjährung. Die Freiheitsersitzung erfolgt durch die Inanspruchnahme des Vollrechts durch den Eigentümer (Besitzer) der belasteten Liegenschaft (und nicht durch Dritte) in Verbindung mit einer manifesten Beeinträchtigung des Servitutsrechts durch ein Hindernis für eine umfassende Ausübung der Dienstbarkeit. Beim Rechtsverlust nach § 1488 ABGB tritt daher zum bloßen Nichtgebrauch durch den Servitutsberechtigten noch ein weiteres Moment hinzu: Er bleibt passiv, obwohl sich der Verpflichtete der Servitutsausübung widersetzt hat; die kurze Verjährung des § 1488 ABGB hat in dieser Situation vor allem den Zweck, die rasche Klärung einer strittigen Rechtslage herbeizuführen. Ein letztlich erfolglos gebliebenes Widerstreben des Verpflichteten führt nicht zum Rechtsverlust.
Eine Beeinträchtigung einer Wegeservitut wie hier liegt regelmäßig in der Widersetzlichkeit des Dienstbarkeitsbelasteten dadurch, dass dieser ein (wenngleich nicht unüberwindliches, so doch) die Servitutsausübung beträchtlich beeinträchtigendes Hindernis errichtet, das die ungehinderte Benützung des Dienstbarkeitsweges auf gewöhnliche und allgemein übliche Art unmöglich macht.
Die Freiheitsersitzung kann grundsätzlich auch zur Einschränkung einer Dienstbarkeit führen. Die Einschränkung kann sich auf die räumliche Ausdehnung, auf den sachlichen Umfang (zB Gehrecht statt Fahrrecht), aber auch auf den Zeitraum der Ausübung beziehen.
Die Vorinstanzen haben eine zwischen einem Rechtsvorgänger der Kläger und dem Erstbeklagten mündlich getroffene Abrede, dieser dürfe sein Auto auf einem Servitutsweg abstellen, müsse aber wegfahren, wenn er jemanden behindere, nicht als Einschränkung der Dienstbarkeit verstanden, die erst kurze Zeit zuvor im Vertrag über den Verkauf der dienenden Liegenschaft durch die Kläger an die Beklagten und andere Nachbarn als Miteigentümer eingeräumt worden war. Sie sei vielmehr bloß als Gestattung einer prekaristischen Nutzung anzusehen, zumal das Wegerecht im Kaufvertrag bedungen worden sei, um die damals bereits geplante Erschließung von nur über den Weg erreichbaren, damals landwirtschaftlich genutzten Grundstücken als Bauland zu ermöglichen.
Nach den Feststellungen war es lange Zeit Übung, dass der Erstbeklagte dort zwar regelmäßig (wenn auch nicht dauernd) parkte, er sein Fahrzeug aber „auf Ersuchen“ immer vom Servitutsweg entfernte und es zu keiner Einschränkung der Wegnutzung kam.
Die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, dass aus diesen Umständen keine die Ausübung der Servitut einschränkende Widersetzlichkeit ableitbar ist, hält sich ebenfalls im Rahmen der dargelegten Rechtsprechung und wirft keine die Anrufung des Obersten Gerichtshofs erlaubende Rechtsfrage auf. Insbesondere dass vorerst gerade keine Hindernisse bestanden, welche das vertraglich eingeräumte Benützungsrecht des Weges auf gewöhnliche und allgemein übliche Art im festgestellten Umfang unmöglich gemacht oder auch nur spürbar gestört hätten, ist im Einzelfall zumindest vertretbar. Dass aus dem Umstand, wonach die Entfernung des Fahrzeugs nach den Feststellungen „auf Ersuchen“ (und nicht „auf Aufforderung“) geschehen ist, angesichts des damals noch gutnachbarschaftlichen Verhältnisses nichts für den Standpunkt der Beklagten Dienliches abzuleiten ist, haben bereits die Vorinstanzen erkannt. Indem die Revision zu unterstellen scheint, es wäre zu einer Einschränkung der Servitut gekommen, setzt sie den vertretbaren Erwägungen der Vorinstanzen ebenfalls keine überzeugenden Argumente entgegen, die vom Obersten Gerichtshof aufzugreifen wären.
In der Folge kam es 2016/2017 zu wiederholter Anwaltskorrespondenz zwischen den Parteien, wobei die Kläger, die in der Folge auf ihrer durch den Servitutsweg erschlossenen Liegenschaft bauen wollten, nunmehr die Behinderung der Servitut monierten und den Beklagten mit Klage drohten. Zwar erwiderten die Beklagten mit einem Hinweis darauf, sie würden das Weggrundstück „unbeanstandet zum Autoabstellen“ verwenden, was „weiterhin gewährleistet“ sein müsse, jedoch haben sie auch das Bestehen der vertraglich eingeräumten Servitut ausdrücklich zugestanden und nach den Feststellungen in den Folgejahren, insbesondere während der Bauarbeiten auf dem Grundstück der Kläger und dem Nachbargrundstück ihrer Tochter, das Autoabstellen jahrelang bis 2019 unterlassen.
Erst 2020 kam es wieder zu einer Eskalation der Streitigkeiten zwischen den Parteien, insbesondere als die Beklagten auch die anderen Nachbarn und Miteigentümer des servitutsbelasteten Weggrundstücks ermutigten, dort ebenfalls häufiger zu parken. In der Folge weigerten sich (nur) die Beklagten, eine Unterlassungserklärung zu unterfertigen, und nach einer Weigerung, das inzwischen wieder dort parkende Fahrzeug der Beklagten zu entfernen, um den Weg für landwirtschaftliche Fahrzeuge freizumachen, sahen sich die Kläger 2021 zur Klagsführung veranlasst.
Das Berufungsgericht erachtete dieses Verhalten bis 2020 nicht als solches, welches der Inanspruchnahme eines Vollrechts durch die Beklagten gleichgekommen wäre, und die Kläger daher zur Klagsführung veranlassen hätte müssen. Auch dies hält sich im Rahmen der Rechtsprechung und des den Gerichten im Einzelfall zukommenden Beurteilungsspielraums, zumal vor 2021 eine ununterbrochene Widersetzlichkeit der Beklagten gerade nicht vorlag.
Unsere Meinung dazu
Hier handelt es sich um eine klassische Einzelfallentscheidung. Was genau ist Widerstand gegen die Ausübung einer Dienstbarkeit und wie weit muss er gehen? Braucht es gar bauliche Beschränkungen, um seinen Willen klar zu Ausdruck zu bringen? All diese Fragen hat der OGH elegant umschifft, indem er in diesem speziellen Fall davon ausgegangen ist, dass der Widerstand nicht einmal ausgereicht hat, um eine Beschränkung der Dienstbarkeit herbeizuführen. Eine Vereinbarung mit oder eine Anweisung durch einen Dienstbarkeitsverpflichteten, ein Fahrzeug bei Bedarf umzuparken, ist demnach (noch) nicht als Widerstand oder Widersetzung zu werten. Es braucht mehr, soviel ist nach dieser Entscheidung gewiss.