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Anspannung bei Unterhaltsbemessung

Anspannung bei Unterhaltsbemessung

OGH vom 17.01.2023, 10 Ob 41/22k:
Mit Unterhaltsvereinbarung gemäß § 210 Abs. 2 ABGB vom 2. Juni 2021 verpflichtete sich der Vater, seinem Sohn L* einen monatlichen Unterhalt von 435 EUR ab 1. Jänner 2021 zu leisten. Der Vereinbarung lagen das damalige Nettoeinkommen des Vaters von durchschnittlich 2.300 EUR pro Monat (inklusive Sonderzahlungen und Zulagen) sowie das Bestehen einer weiteren Unterhaltspflicht gegenüber einer 2014 geborenen Tochter zugrunde.

Mit Beschluss vom 10. Dezember 2021 gewährte das Erstgericht dem Kind Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von monatlich 107 EUR für die Zeit vom 1. Oktober 2021 bis 30. September 2026. Das darüber hinausgehende Begehren, Unterhaltsvorschuss in Titelhöhe (von 435 EUR) zu gewähren, wies es ab. Es stellte fest, dass der (in Kuba geborene) Vater kubanischer Staatsbürger sei, den laufenden Unterhalt seit Vollstreckbarkeit des Titels nicht zur Gänze bezahlt habe und in die USA verzogen sei, wo sein genauer Aufenthaltsort unbekannt sei. Daraus folgerte es rechtlich, dass zwar die Voraussetzungen für die begehrten Vorschüsse nach §§ 3, 4 Z 1 UVG vorlägen. Da aber weder das Einkommen des Vaters in den USA noch der Umstand bekannt sei, ob er dort überhaupt einer Beschäftigung nachgehe, sei lediglich die Anspannung auf ein erzielbares Einkommen in Kuba als jenem Land möglich, dessen Staatsbürger er sei. Das durchschnittliche Einkommen in Kuba betrage rund 563 EUR monatlich, woraus sich ein Unterhaltsanspruch von 107 EUR (19 % der Bemessungsgrundlage) errechne.

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehlt es an einer hohen Wahrscheinlichkeit der Unrichtigkeit des Titels, wenn die Voraussetzungen für die Anspannung des Unterhaltsschuldners auf einen Unterhalt in Titelhöhe gegeben sind, dieser sich also an jenem Einkommen messen lassen muss, das er bei zumutbarer Ausschöpfung seiner Möglichkeiten („Anspannung seiner Kräfte“) zu erzielen in der Lage wäre. Die Anwendung des Anspannungsgrundsatzes setzt voraus, dass ausreichende, beweismäßig fassbare Fakten für die Einschätzung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners vorhanden sind. Die Anspannung kommt nur unter der Voraussetzung eines Verschuldens des Unterhaltspflichtigen (zumindest leichte Fahrlässigkeit) in Betracht. Er muss also in Kenntnis seiner Unterhaltspflicht pflichtwidrig zumutbare Einkunftsbemühungen unterlassen haben.

Vor diesem Hintergrund werden an die Mobilität von Unterhaltspflichtigen strenge Anforderungen gestellt. Nur wenn ein Unterhaltsschuldner aus berücksichtigungswürdigen Gründen – und nicht bloß zur Umgehung seiner Unterhaltspflichten – seinen Wohnsitz und Arbeitsplatz ins Ausland verlegt, ist er nicht auf das im Inland erzielbare Einkommen anzuspannen; (nur) in diesem Fall ist von den ausländischen Arbeitsmarktverhältnissen auszugehen. Ein berücksichtigungswürdiger Grund liegt nach der Rechtsprechung etwa dann vor, wenn ein Vater ausländischer Herkunft – mag er mittlerweile auch österreichischer Staatsbürger sein – nach Scheidung der in Österreich geschlossenen Ehe aufgrund einer im Entscheidungszeitpunkt als vertretbar anzuerkennenden Entscheidung wieder in sein Heimatland zurückkehrt, um dort einer Beschäftigung nachzugehen.

Die Anspannung hat auch bei Unterhaltspflichtigen zu erfolgen, die sich mit unbekanntem Aufenthalt im Ausland befinden, solange sie nicht zu einer bloßen Fiktion führt, sondern auf einer belastbaren Faktengrundlage beruht. Demgemäß ist für den Fall, dass der Unterhaltsschuldner noch nicht allzu lange abwesend ist und der Unterhaltsbeitrag vertraglich festgelegt wurde, bis zum Beweis des Gegenteils von jenen Verhältnissen auszugehen, die der letztmaligen Festsetzung des Unterhalts zugrundelagen.

Die Vorinstanzen sind zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die Emigration des Vaters in die USA einen Anhaltspunkt gegen den aufrechten materiellen Bestand des Titels darstellen kann. Darauf aufbauend ist es konsequent, wenn sie die Frage der Anspannung des Vaters prüfen. Auf dessen Staatsbürgerschaft kommt es dabei aber nicht an, weil für die Unterhaltsbemessung (primär nur) die Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten und die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen, nicht aber dessen Herkunft maßgeblich sind. Weder bedarf es hier daher der Feststellung der Staatsbürgerschaft des Vaters noch kommt es auf ein in Kuba (als seinem Herkunftsland) erzielbares Durchschnittseinkommen an.

Zu prüfen ist vielmehr, ob von dem in den USA erzielbaren Einkommen auszugehen ist. Das ist aber nicht der Fall. Es ergeben sich keine aus den Akten fassbaren Umstände (wie etwa Krankheit etc), die den Vater daran hindern, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Ebenso wenig finden sich in den Akten Hinweise dafür, dass er tatkräftig bemüht wäre, Unterhalt zu leisten. Vielmehr ist der Umstand, dass er eine Unterhaltsvereinbarung schließt und kurz danach unbekannten Aufenthalts ist, ein Indiz dafür, dass er versucht, sich seiner Unterhaltspflicht zu entziehen. Zudem sind auch berücksichtigungswürdige Gründe für die Aufgabe der Erwerbstätigkeit in Österreich und die Emigration in die USA nicht ersichtlich, zumal der besondere Fall der Rückkehr in sein Heimatland (Kuba) nicht vorliegt. Auf dieser (aktenmäßigen) Grundlage sind die Voraussetzungen für die Anspannung des Vaters auf das dem Unterhaltstitel zugrundeliegende, respektive das zuletzt im Inland erzielte Einkommen erfüllt. Insofern unterscheidet sich der Sachverhalt auch von jenem zu 10 Ob 30/19p, sodass es keines (speziellen) Vorbringens des Kindes zum erzielbaren Einkommen bzw zur Anspannbarkeit bedurfte. Ein Grund, die in Titelhöhe beantragten Unterhaltsvorschüsse teilweise zu versagen, liegt damit zumindest derzeit nicht vor.

Unsere Meinung dazu

Oft sind die Gerichte tatsächlich so blind, dass es Justitia alle Ehre macht. Die Korrektur durch den OGH ist richtig und überzeugend.
Ein Unterhaltsvorschuss in Höhe von EUR 107,00 monatlich ist ein Witz, davon kann man ein Kind in Österreich nicht ernähren. Das Kind finanziell zu bestrafen, weil der Vater ins Ausland übersiedelt, ist im Unterhaltsvorschussgesetz auch nicht abbildbar. Grundsätzlich hat als Bemessungsgrundlage für den Unterhaltsvorschuss das durch den Unterhaltsschuldner in Österreich erzielbare Einkommen zu gelten. Nur in Ausnahmefällen kann davon abgegangen werden.