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Zur Weidehaltung von Kühen

Zur Weidehaltung von Kühen

OGH vom 22.04.2025, 7 Ob 70/25g:
[1] 1. Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit wurde geprüft. Sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[2] 2.1.1 Gemäß § 1320 ABGB (idF vor dem HaftRÄG 2019 [BGBl I 2019/69]) ist, wenn jemand durch ein Tier beschädigt wurde, derjenige dafür verantwortlich, der es dazu angetrieben, gereizt oder zu verwahren vernachlässigt hat. Derjenige der das Tier hält, ist verantwortlich, wenn er nicht beweist, dass er für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung gesorgt hat. Bereits im Anwendungsbereich dieser Bestimmung hat der Oberste Gerichtshof wiederholt zur Tierhalterhaftung – insbesondere auch in der Alm- und Weidewirtschaft – Stellung genommen:

[3] 2.1.2 Wie ein Tier zu verwahren oder zu beaufsichtigen ist, richtet sich immer nach den Umständen des Einzelfalls (RS0030567; RS0030157 [T1]). Bei der Bestimmung des Maßstabs der erforderlichen Beaufsichtigung und Verwahrung eines Tieres spielen insbesondere dessen Gefährlichkeit nach seiner Art und Individualität und die Möglichkeit der Schädigung durch das spezifische Tierverhalten eine Rolle (RS0030081).

[4] 2.1.3 Die Haftung des Tierhalters nach § 1320 ABGB ist jedenfalls nicht Erfolgshaftung (RS0030291). Eine Haftung gemäß dem zweiten Satz des § 1320 (nunmehr Abs 1) ABGB tritt nur ein, wenn der Tierhalter die nach den ihm bekannten oder doch erkennbaren Eigenschaften des Tieres erforderliche und nach der Verkehrserwartung von ihm vernünftigerweise zu erwartende Verwahrungspflicht vernachlässigt hat.

[5] 2.1.4 Grundsätzlich besteht keine Verpflichtung, einen Weg, der durch ein Weidegebiet führt, durch Zäune vom Weidegebiet abzugrenzen (RS0030039). Eine Abzäunung eines Weges auf einer Almweide ist weder üblich noch zumutbar. Diese Rechtsprechung beruht auf der Prämisse, dass Kühe im Allgemeinen keine Gefahr für den Menschen sind (5 Ob 168/19w). Besondere Umstände können im Einzelfall freilich zu einer Anhebung der Sorgfaltsanforderungen führen (RS0030081 [T22]). Sollten daher auf der Weide aggressive Tiere gehalten werden, sind sie gesondert zu verwahren, sodass sie sich dem Weg nicht nähern können (vgl 8 Ob 91/02v, 3 Ob 110/07h). Weiters muss die Verwahrung eines Tieres auf einer Weide in unmittelbarer Nähe einer stark frequentierten Straße (RS0030107) oder einer Seilbahn (RS0030107 [T2]) besonders sorgfältig erfolgen. Nach einem Vorfall, bei dem die Mutterkuh auf Hunde aggressiv reagierte, ist zumindest eine Warnung durch Aufstellen von Schildern gefordert (3 Ob 110/07h).

[6] 2.2 Die Bestimmung des § 1320 ABGB wurde weiters mit dem HaftRÄG 2019 um einen zweiten Absatz erweitert. Danach kann der Halter in der Alm- und Weidewirtschaft bei der Beurteilung der Frage, welche Verwahrung erforderlich ist, auf anerkannte Standards der Tierhaltung zurückgreifen. Andernfalls hat er die im Hinblick auf die ihm bekannte Gefährlichkeit der Tiere, die ihm zumutbaren Möglichkeiten zur Vermeidung solcher Gefahren und die erwartbare Eigenverantwortung anderer Personen gebotenen Maßnahmen zu ergreifen. Die erwartbare Eigenverantwortung der Besucher von Almen und Weiden richtet sich nach den durch die Alm- und Weidewirtschaft drohenden Gefahren, der Verkehrsübung und anwendbaren Verhaltensregeln.

[7] 3. Die vorliegend erfolgte Verneinung der Tierhalterhaftung durch das Berufungsgericht hält sich im Rahmen der dargestellten Rechtsprechungsgrundsätze. Das Berufungsgericht ist in tatsächlicher Hinsicht davon ausgegangen, dass die freie Weidehaltung von Mutterkühen mit Kälbern im betreffenden Gebiet ortsüblich ist und die gehaltenen Fleckvieh-Kühe weder besondere Auffälligkeiten noch einen Hang zur Aggressivität aufweisen. Der – 56-jährige – Beklagte ist seit seinem 15. Lebensjahr mit dem Umgang mit Rindern vertraut, der vorliegende Fall ist der Erste, bei dem eine seiner Kühe einen Wanderer angegriffen hat. Der Angriff ereignete sich auf einem Almweg – einem nicht stark frequentierten Bringungsweg – an dessen Beginn ein Warnschild angebracht ist, das in zwei Sprachen vor dem Kontakt mit dem Weidevieh warnt, den Hinweis darauf enthält, dass Kühe ihre Kälber schützen und Verhaltensregeln beim Mitführen von Hunden aufstellt. Die am Weg stehende Mutterkuh griff die Klägerin und ihren Mann an, als diese – die kritische Distanz unterschreitend – an ihr vorbeigehen wollten. Wenn das Berufungsgericht unter diesen Umständen die Notwendigkeit besonderer Vorsichtsmaßnahmen, insbesondere ein von der Klägerin verlangtes Einzäunen beziehungsweise eine gesonderte Verwahrung von Mutterkühen und Kälbern, verneint, liegt darin jedenfalls keine unvertretbar aufzugreifende Fehlbeurteilung nach der bisherigen Rechtsprechung vor, auf die sich die Klägerin in ihrer Revision stützt.

[8] 4.1 Soweit die Klägerin dem entgegenhält, dass die Mutterkuh bereits im hochträchtigen Zustand auf einen Wanderer aggressiv reagiert habe, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt.

[9] 4.2 Die Forderung, dass das Warnschild noch weitere Hinweise, nämlich die zur Kuh einzuhaltende Distanz, enthalten müsse, würde den Sorgfaltsmaßstab überspannen.

[10] 4.3 Weder der Umstand, dass sich 100 Meter von der Unfallstelle entfernt eine Viehtränke und ein Holzlagerplatz, auf dem sich die Kühe gerne aufhalten, befindet, noch jener, dass der Beklagte vor Ort war, vergrößerten die Gefahr derart, dass zusätzliche Sicherungsmaßnahmen erforderlich gewesen wären.

[11] 4.4 Auf die Frage, ob die anerkannten Standards der Tierhaltung nach § 1320 Abs 2 ABGB der Tatsachenfeststellung zugänglich sind oder rechtliche Beurteilungskriterien darstellen, kommt es damit nicht mehr entscheidungswesentlich an.

[12] 5. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

Unsere Meinung dazu

Vor allem seit der Novellierung bzw. Ergänzung des § 1320 ABGB besteht grundsätzlich keine Verpflichtung, einen Wanderweg, der durch ein Weidegebiet führt, durch Zäune vom Weidegebiet abzugrenzen. Diese Rechtsprechung beruht auf der Prämisse, dass Kühe im Allgemeinen keine Gefahr für den Menschen sind. Besondere Umstände können im Einzelfall freilich zu einer Anhebung der Sorgfaltsanforderungen führen. Sollten daher auf der Weide aggressive Tiere gehalten werden, sind sie gesondert zu verwahren, sodass sie sich dem Weg nicht nähern können. Weiters muss die Verwahrung eines Tieres auf einer Weide in unmittelbarer Nähe einer stark frequentierten Straße oder einer Seilbahn besonders sorgfältig erfolgen. Nach einem Vorfall, bei dem die Mutterkuh auf Hunde aggressiv reagierte, ist zumindest eine Warnung durch Aufstellen von Schildern gefordert.
Im Gegensatz zu manchen anderen Gerichtsurteilen, die durch die Medien gegangen sind, ist diese Entscheidung des OGH klar verständlich, nachvollziehbar und im Ergebnis richtig. Wanderer sind grundsätzlich eigenverantwortlich. Nur gefährliche Kühe und neuralgische Stellen sind abzusichern. Ansonsten ist eine Beschilderung ausreichend. Keine Einwände.