Einheimischentarife für Bootliegeplätze

Ferdinand Bachinger
Admin | 26. Jänner 2025
OGH vom 27.11.2024, 3 Ob 158/24t:
[1] Die Klägerin hat seit dem Jahr 1995 für ihr Segelboot einen Bootsliegeplatz im Hafen der beklagten Stadtgemeinde. Sie wohnt seit jeher nicht im Ortsgebiet der Beklagten (sondern rund 10 Kilometer davon entfernt).
[2] Die Beklagte vermietet in ihrem Hafen derzeit insgesamt 391 Wasser- und 86 Trockenliegeplätze jeweils unbefristet gegen einen jährlich festgesetzten Betrag. Sie schreibt den Mietern, die außerhalb der Stadt wohnen, einen „Nicht-Ortsansässigen-Zuschlag“ (in der Höhe von 50 % der Summe aus Grundtarif, Übergrößenzuschlag und Energiezuschlag) vor. Im Jahr 2023 kam es zu einer empfindlichen Erhöhung der vorgeschrieben Liegeplatzentgelte (etwa 44 % mehr als im Jahr 2022). Auf der Warteliste für einen Bootsliegeplatz im Hafen der Beklagten befinden sich derzeit rund 500 ortsansässige und 1.500 nicht-ortsansässige Personen.
[3] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist (nach rechtskräftiger Abweisung weiterer Feststellungs- und Unterlassungsbegehren) nur noch das Begehren der Klägerin festzustellen, dass der von der Beklagten für den Bootsliegeplatz als Entgeltbestandteil vorgeschriebene „Nicht-Ortsansässigen-Zuschlag“ unzulässig ist.
[4] Das Berufungsgericht gab diesem Feststellungsbegehren statt.
Rechtliche Beurteilung
[5] In ihrer außerordentlichen Revision dagegen zeigt die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf.
[6] 1.1 Nach § 228 ZPO kann eine Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder Rechts erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis oder Recht alsbald festgestellt werde. Auch einzelne rechtliche Beziehungen, die nur Ausfluss eines weitergehenden Rechtsverhältnisses sind, oder einzelne rechtliche Folgen einer solchen Rechtsbeziehung, wie etwa einzelne Forderungen oder daraus abgeleitete Ansprüche, können Gegenstand einer Feststellungsklage sein (vgl RS0039223; RS0039053; RS0038986). Bei Dauerrechtsverhältnissen ist in Beziehung auf den Bestand und Inhalt dieser Rechte die Feststellungsklage zulässig, ohne Rücksicht darauf, ob eine Leistungsklage auf aus dem Rechtsverhältnis fällig gewordene Leistungen möglich ist oder nicht (RS0039110).
[7] 1.2 Die Beurteilung des Berufungsgerichts, nach der die Klägerin ein rechtliches Interesse im Sinn des § 228 ZPO an der Feststellung der Unzulässigkeit des ihr von der Beklagten im Rahmen des unbefristeten Mietverhältnisses vorgeschriebenen Zuschlags hat, ist – entgegen der Rechtsansicht der Beklagten – nicht korrekturbedürftig. Die Begründung stimmt mit den wiedergegebenen Grundsätzen zur Zulässigkeit und Bedeutung der Feststellungsklage in Streitigkeiten aus Dauerschuldverhältnissen überein. Bei der Vorschreibung des Entgelts (einschließlich der Kriterien für dessen Festsetzung) für den gemieteten Bootsliegeplatz handelt es sich um einen Hauptbestandteil des unbefristeten Vertrags. An der Klärung der Frage der Zulässigkeit eines für eine gleichwertige Leistung unterschiedlich verrechneten Entgelts hat die Klägerin ein rechtliches Interesse. Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten kann dem nicht entgegen gehalten werden, dass es sich hierbei um „rein theoretisch denkbare Möglichkeiten“ handle, weil die „künftige Vorschreibung“ des Zuschlags „noch nicht eingetreten“ sei.
[8] 2.1 Die Frage, ob dem Prozessvorbringen eine Beschränkung auf einen bestimmten Rechtsgrund entnommen werden kann, ist eine solche der rechtlichen Beurteilung (RS0037610 [T31]). Im Zweifel ist keine Beschränkung auf einen von mehreren nach dem Sachvortrag in Betracht kommenden Rechtsgründen anzunehmen (RS0037610 [T36]).
[9] 2.2 Die Klägerin stützte ihren Anspruch auf Feststellung der Unzulässigkeit des „Nicht-Ortsansässigen-Zuschlags“ im erstinstanzlichen Verfahren im Wesentlichen darauf, dass die unterschiedliche Behandlung von Einheimischen und Personen ohne Wohnsitz in der Stadtgemeinde im Rahmen der privatwirtschaftlichen Vergabe der Bootsliegeplätze diskriminierend sei und ohne Rechtfertigung durch objektive Kriterien erfolge. Sie verwies dazu auf die Richtlinie 2006/123/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 („Dienstleistungs-RL“) sowie auf das Bundesgesetz über die Erbringung von Dienstleistungen („Dienstleistungsgesetz – DLG“), BGBl I Nr 100/2011, und brachte vor, dass eine unzulässige Inländerdiskriminierung auch dann vorliege, wenn das DLG den konkreten Fall nicht abdecke. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, nach der die Klägerin sich mit ihrem Feststellungsbegehren nicht nur auf einen Rechtsgrund stützte und daher alle in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen in die Prüfung miteinzubeziehen sind, ist nicht zu beanstanden. Eine ausdrückliche Beschränkung auf einen bestimmten Rechtsgrund hat die Klägerin nicht vorgenommen.
[10] 3.1 Die sogenannte „Fiskalgeltung der Grundrechte“ für Gebietskörperschaften ist allgemein anerkannt. Der Staat und die anderen Gebietskörperschaften sind auch dann an die Grundrechte und damit an das aus dem Gleichheitsgrundsatz (Art 2 StGG; Art 7 Abs 1 B-VG) abzuleitende Sachlichkeitsgebot (vgl RS0058455; RS0053981) gebunden, wenn sie nicht hoheitlich, sondern in der Rechtsform des Privatrechts handeln. Der Staat soll sich nicht der Grundrechtsbindung entziehen können, indem er Handlungs- und Rechtsformen des Privatrechts wählt (6 Ob 162/20x [Rz 2] mwN). Im Umfang der (unmittelbaren) Grundrechtsbindung ist daher die im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung (Art 17 B-VG) tätige öffentliche Hand in ihrer Privatautonomie beschränkt (vgl RS0038110).
[11] 3.2 Entgegen der Meinung der Beklagten gilt diese Beschränkung der Privatautonomie für den Staat und die anderen Gebietskörperschaften nicht nur in einem bestimmten Bereich wie etwa dem der Subventionsvergabe. Für die behauptete „Anwendbarkeitsgrenze“ der Fiskalgeltung der Grundrechte, die nach Meinung der Beklagten außerhalb der öffentlichen Aufgaben wie der Daseinsvorsorge sowie der Steuermittelverwendung liegen soll, gibt es keine Begründung. Daher lässt sich auch aus dem von der Beklagten relevierten Umstand, dass die Nutzer des Hafens als Mieter von Bootsliegeplätzen nur einen „äußerst geringen Teil der Bevölkerung“ der Stadtgemeinde bilden, nicht ableiten, dass eine Ungleichbehandlung innerhalb der an dieser Nutzung Beteiligten durch die beklagte Gebietskörperschaft keiner sachlichen Rechtfertigung bedürfte.
[12] 4.1 Das aus dem Gleichheitsgrundsatz abgeleitete Sachlichkeitsgebot ist verletzt, wenn der Gesetzgeber zur Zielerreichung völlig ungeeignete Mittel vorsieht oder wenn die vorgesehenen, an sich geeigneten Mittel zu einer sachlich nicht begründbaren Differenzierung führen (vgl RS0058455). Allgemein verbietet der Gleichheitsgrundsatz willkürliche, unsachliche Differenzierungen (vgl RS0053981).
[13] 4.2 Preisdifferenzierungen im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung für bestimmte Leistungen wie etwa „Einheimischentarife“, die an die Staatsangehörigkeit oder die Ortsansässigkeit von Personen anknüpfen, sind zwar aus den erwähnten Gründen verfassungsrechtlich bedenklich, können aber durch objektive Gründe gerechtfertigt werden (dazu Neger/Paar, Einheimischentarife und ihre sachliche Rechtfertigung, RFG 2019/14; Obwexer, DienstleistungsRL und Einheimischentarife, ecolex 2010, 324 mwN). Dies kommt beispielsweise für gesundheitlich relevante Einrichtungen wie kommunale Frei- oder Hallenbäder in Betracht, weil die Gemeinden als Betreiber solcher Einrichtungen daran interessiert sind, ihren Bewohnern gesundheitsfördernde Aktivitäten durch günstigere Tarife zu erleichtern, und weil sie dies etwa durch eine Zweckbindung steuerlicher Mittel rechtfertigen können (Neger/Paar, RFG 2019/14 mwN).
[14] 4.3 Die Beklagte hat als sachliche Rechtfertigung des von ihr verrechneten Zuschlags für Nicht-Ortsansässige nur pauschal vorgebracht, dass die Ungleichbehandlung „sachlich gerechtfertigt“ sei, dass sie der „Aufrechterhaltung der öffentlichen Gesundheit“ diene und außerdem der „Wahrung der gesellschaftlichen Ordnung“ und „sozialpolitischen Zielsetzungen“. Das Berufungsgericht erwiderte diesen Argumenten zusammengefasst, dass eine Zweckwidmung der durch den Zuschlag erzielten Mehreinnahmen für Gesundheitsvorsorge nicht behauptet worden und ein Einfluss der ungleichen Tarife auf die „gesellschaftliche Ordnung“ ebenso wenig nachvollziehbar sei wie ihre Bedeutung für „sozialpolitische Zielsetzungen“ der Gemeinde. Insbesondere erfolge durch den Zuschlag – und nur dieser werde hier auf seine Zulässigkeit geprüft (und nicht die Vergabe der begehrten Bootsliegeplätze) – gerade keine Bevorzugung von Gemeindeangehörigen bei der Vergabe der wenigen Plätze. In ihrer außerordentlichen Revision vermag die Beklagte in diesem Zusammenhang weder eine Fehlbeurteilung noch eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen.
[15] 4.4 Die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen einer sachlichen Rechtfertigung der beanstandeten Ungleichbehandlung traf die Beklagte (vgl RS0037797 [T8]). Diese konnte aber – wie das Berufungsgericht frei von Rechtsirrtum erkannte – keine hinreichenden Kriterien für eine Rechtfertigung dieser unterschiedlichen Tarifgestaltung anführen. Auch in ihrer außerordentlichen Revision trägt sie keine Argumente dafür nach. Mit ihrem Hinweis darauf, dass der Segelsport nur von einer „verschwindenden Minderheit ausgeübt“ werde und daher nur ein „äußerst geringer Teil der Bevölkerung“ davon betroffen sei, verknüpft sie nur ihre – wie bereits erwähnt, unbegründete – Auffassung, dass aus diesem Grund der Gleichheitsgrundsatz und das Sachlichkeitsgebot überhaupt nicht gelte. Damit wird aber eine Korrekturbedürftigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht aufgezeigt.
[16] 4.5 Fragen der Inländerdiskriminierung wurden nicht aufgeworfen, sondern die von der Klägerin beanstandete Ungleichbehandlung mangels sachlicher Rechtfertigung als nicht zulässig beurteilt. Auch insofern zeigt die Beklagte daher keine erhebliche Rechtsfrage auf.
[17] 4.6 Für die von der Beklagten behauptete „zumindest konkludente Annahme“ des „Angebots“ (gemeint offenbar: der erhöhten Vorschreibung) durch die „vorbehaltslose“ Zahlung der Klägerin gibt es keinen Anhaltspunkt: Zur jährlichen Zahlung der von der Beklagten vorgeschriebenen Hafenentgelte ist die Klägerin nach dem Vertragsinhalt verpflichtet, wobei die Beklagte im Fall der Nichtentrichtung trotz erfolgter Mahnung zur Kündigung und zum Entzug des Bootsliegeplatzes berechtigt ist. Aus der bloßen Zahlung der Klägerin, zu der im Übrigen feststeht, dass sie die Zusammensetzung und Höhe der Gebühren bis zum Jahr 2023 nie auch nur irgendwie hinterfragte (sondern das Entgelt immer anstandslos bezahlte) und dass sie auch für das Jahr 2023 zahlte, weil sie „Angst hatte, ansonsten den Liegeplatz zu verlieren“, lässt sich daher eine Zustimmung zur Vorschreibung des Zuschlags nicht ableiten.
Unsere Meinung dazu
Diese Rechtsprechung des OGH ist mittlerweile bekannt, offenbar aber noch nicht zu allen Gemeinden im Bundesgebiet durchgedrungen. Kurz nach dem EU-Beitritt Österreichs haben die Höchstgerichte über Beschwerde eines Deutschen die Einheimischentarife für Seilbahnen und Lifte als diskriminierend und EU-rechtwidrig erkannt. Bei den Preisen für kommunale Einrichtungen darf aber sehr wohl differenziert werden, und zwar beispielsweise bei gesundheitlich relevanten Einrichtungen wie kommunalen Frei- oder Hallenbädern, weil die Gemeinden als Betreiber solcher Einrichtungen daran interessiert sind, ihren Bewohnern gesundheitsfördernde Aktivitäten durch günstigere Tarife zu erleichtern, und weil sie dies etwa durch eine Zweckbindung steuerlicher Mittel rechtfertigen können. Diese Ausnahme wäre im vorliegenden Fall aber nicht zum Tragen gekommen, da die betroffene Gemeinde schon bei der Vergabe der (sehr begehrten) Bootliegeplätze im kommunalen Hafen nicht zwischen ortsansässigen und ortsfremden Bewerbern unterschieden hatte. Insofern durfte auch bei der jährlichen Liegeplatzgebühr nicht unsachlich differenziert werden.