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Haftung bei umstürzendem Baum

Haftung bei umstürzendem Baum

OGH vom 03.04.2024, 3 Ob 22/24t:
Die Klägerin wurde durch einen plötzlich umstürzenden Baum, der auf einer Liegenschaft der Nebenintervenientin stand, schwer verletzt. Es steht nicht fest, wer den Baum im Jahre 1964 pflanzte. Ursache für das plötzlich Umstürzen des Baumes war die seit dem Einpflanzen bestandene (unterirdische) „Betonummantelung“, die keine Ausbildung eines ausreichenden Stand- und Wurzelraums zuließ. Die Beklagte hatte den Baum in ihrem Baumkataster eingetragen und zumindest seit 2009 regelmäßig betreut. Die Einschränkung des Wurzelwachstums durch die unter der Erdoberfläche befindliche Betonmauer war nicht erkennbar.

Die Vorinstanzen wiesen das Schadenersatz- und Feststellungsbegehren der Klägerin ab. Der Beklagten sei der Entlastungsbeweis im Sinn des § 1319 ABGB gelungen. Diese habe sämtliche nach dem Stand der Technik erforderlichen (detailliert festgestellten) Kontroll- und Pflegemaßnahmen fachgerecht durchgeführt. Die für das plötzliche Umstürzen ursächliche, den Wurzelbereich einengende Betonummantelung sei „sehr ungewöhnlich“ und im Rahmen der ordnungsgemäß vorgenommenen Kontrollen nicht erkennbar gewesen.

Schäden, die durch das Umstürzen von Bäumen verursacht werden, sind nach ständiger Rechtsprechung im Weg der Analogie in den Anwendungsbereich des § 1319 ABGB einzubeziehen. Bei Bäumen liegt der Grund der verschärften Haftung darin, dass infolge eines mangelhaften Zustands eines Baums eine erhöhte Gefährlichkeit bestehen kann. Diese Gefahr kann auf einer mechanischen Verletzung des Baums oder auf einer Krankheit beruhen; dem wird eine – hier vorgelegene – unzureichende Wurzelausbildung gleichgehalten.

Entgegen der Rechtsansicht der Klägerin ist das Berufungsgericht von der Rechtsprechung zur Frage, welche Maßnahmen bei Bäumen im Verkehrsbereich gesetzt werden müssen, nicht abgewichen. Die Behauptung der Klägerin, die Baumkontrolle und deren Dokumentation durch die Beklagte habe nicht den einschlägigen Ö-Normen entsprochen, widerspricht in wesentlichen Punkten den gegenteiligen Feststellungen des Erstgerichts. Demnach bestanden lediglich Defizite bei Details der Aufzeichnung der Einzelbaumkontrolle, die allerdings nichts daran ändern, dass die aus technischer Sicht notwendigen Untersuchungen durchgeführt und die Prüfungsintervalle eingehalten wurden, ohne dass sich dabei Hinweise auf die Notwendigkeit weiterführender Untersuchungen ergaben. Mit den davon abweichenden Behauptungen führt die Klägerin ihre Rechtsrüge nicht gesetzmäßig aus.

§ 1319 ABGB stellt nach ständiger Rechtsprechung auf einen objektiven Sorgfaltsbegriff ab und normiert eine Gefährdungshaftung. Von dieser kann sich der Halter durch den Beweis befreien, alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet und alle Vorkehrungen getroffen zu haben, die vernünftigerweise nach den Umständen bzw. der Auffassung des Verkehrs erwartet werden können. Nach ständiger Rechtsprechung setzt die Verletzung der objektiv gebotenen Sorgfalt jedenfalls die Erkennbarkeit oder doch Vorhersehbarkeit der drohenden Gefahr voraus.

Hier steht fest, dass die für das natürliche Baumwachstum schädliche Einschränkung des Standraums des Baums durch die umfassenden Betonmauern „selbst für einen Stadtbaum eine sehr ungewöhnliche Situation“ bedeuteten und diese Einengung des Wurzelbereichs von außen nicht erkannt werden konnte. Dagegen waren für die Kontrolleure „vitale Wurzeln“ in der Grünfläche hinter dem Gehsteig sichtbar und es gab aus technischer Sicht „keine Indikation zur Durchführung weiterführender Untersuchungen“. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, nach der die Beklagte sämtliche von ihr zu erwartenden und zur Abwendung erkennbar drohender Gefahren erforderlichen Vorkehrungen getroffen habe, ist daher – entgegen der Rechtsansicht der Klägerin – nicht korrekturbedürftig.

Die Klägerin argumentiert, die Beklagte habe Eigentum an der Verkehrsfläche sowie am Baum „jedenfalls durch Ersitzung erworben“ und „daher“ sei ihr auch die falsche Einpflanzung zuzurechnen. Für die Frage der Haftung nach § 1319 ABGB kommt es allerdings nicht auf das Eigentum am Baum an, sondern auf die – von der Beklagten ohnehin nicht bestrittene – Haltereigenschaft. Wer den Baum im Jahr 1964 unsachgemäß einpflanzte, steht nicht fest und dass der Beklagten dieser Umstand unsachgemäßer Einpflanzung bekannt war, behauptet selbst die Klägerin nicht. Die Meinung der Klägerin, die Beklagte selbst habe durch die unsachgemäße Einpflanzung die Gefahrenquelle geschaffen, beruht auf bloßen Vermutungen ohne Deckung im Sachverhalt.

Unsere Meinung dazu

Jeder Mensch sollte wenigstens einmal in seinem Leben einen Baum pflanzen - und sich darum kümmern, vor allem in der Stadt. Der Baum überlebt den Menschen aber meist. Wer trägt dann die Verantwortung für den Baum? Laut OGH derjenige, der sich um den Baum sorgt. Den Baumhalter trifft allerdings keine Gefährdungshaftung. Er muss nur die objektiv gebotene Sorgfalt einhalten und alle Vorkehrungen treffen, die vernünftigerweise erwartet werden können. Ein regelmäßiger Baumschnitt und eine Sichtkontrolle reichen dafür scheinbar aus. Unvorhersehbare und nicht indizierte Umstände treffen den Baumhalter nicht. Hier greift das allgemeine Prinzip: Jeder hat seinen Schaden selbst zu tragen. Dem ist nichts hinzuzufügen.