Befangenheit von Richtern

Ferdinand Bachinger
Admin | 01. Dezember 2023
VwGH vom 13.09.2023, Ra 2022/14/0221:
Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Volksrepublik Bangladesch, stellte am 29. September 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den er im Wesentlichen damit begründete, aufgrund seiner Homosexualität in seinem Herkunftsstaat geschlagen worden zu sein. Bei einer Rückkehr befürchte er eine Festnahme aufgrund seiner sexuellen Orientierung.
Mit Bescheid vom 2. November 2021 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Bangladesch zulässig sei. Weiters setzte es eine Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest und erließ gegen den Revisionswerber ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot.
Zur maßgeblichen Lage in Bangladesch betreffend sexuelle Orientierung und Geschlechteridentität (SOGI) stellte das BVwG u.a. Folgendes fest:
„Homosexuelle Handlungen sind illegal und können nach § 377 des ‚Bangladesh Penal Code, 1860‘ (BPC) mit einer Haftstrafe von bis zu zehn Jahren, inklusive der Möglichkeit einer Geldstrafe bestraft werden (...). Traditionell tendiert die Bevölkerung zu einer gemäßigten Ausübung des Islam, die Sexualmoral ist allerdings konservativ (...). ... Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft (Homosexuelle, Bisexuelle, Transgender und Intersex) erhielten Drohbotschaften per Telefon, SMS und über soziale Medien und berichten, dass die Polizei das Gesetz als Vorwand benutzt, um LGBTI-Personen sowie feminine Männer unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, zu schikanieren (...).
Homosexualität ist gesellschaftlich absolut verpönt und wird von den Betroffenen nicht offen gelebt. Wo Homosexuelle als solche erkannt werden, haben sie mit gesellschaftlicher Diskriminierung, in Einzelfällen auch mit Misshandlungen bis hin zum Mord zu rechnen (...). Ein strafrechtliches Verbot gleichgeschlechtlicher Beziehungen wird selten durchgesetzt und jedes Jahr werden dutzende Angriffe [auf] LGBTI-Personen gemeldet.“
Vorab ist dem Zulässigkeitsvorbringen, der erkennende Richter wäre verpflichtet gewesen, sich einer Entscheidung zu enthalten, da aufgrund von ihm verfasster, in Printmedien und im Internet veröffentlichter Artikel der Anschein der Befangenheit vorliege und insofern die begründete Befürchtung des Anscheins der Befangenheit genüge, der Richter müsse nicht auch tatsächlich befangen sein, entgegenzuhalten, dass sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 20. März 2023, Ra 2022/18/0126, mit einem gleichartigen Vorbringen betreffend den hier wie dort erkennenden Richter des Näheren befasst hat. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird insoweit auf die in diesem Erkenntnis enthaltenen Entscheidungsgründe verwiesen. Aus den dort genannten Gründen ist auch im vorliegenden Fall dem Vorbringen des Revisionswerbers zum Vorliegen (des Anscheins) einer Befangenheit aufgrund der Veröffentlichung der betreffenden Artikel nicht zu folgen.
Zu den im Rahmen der Revision weiters vorgebrachten Äußerungen des erkennenden Richters im Rahmen der mündlichen Verhandlung ist Folgendes festzuhalten:
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits festgehalten, dass jeder Vorwurf einer Befangenheit konkrete Umstände aufzuzeigen hat, welche die Objektivität des Entscheidungsträgers in Frage stellen oder zumindest den Anschein erwecken können, dass eine parteiische Entscheidung möglich ist. Nur eindeutige Hinweise, dass ein Entscheidungsträger seine vorgefasste Meinung nicht nach Maßgabe der Verfahrensergebnisse zu ändern bereit ist, können seine Unbefangenheit in Zweifel ziehen (vgl. VwGH 20.9.2021, Ra 2021/14/0272, mwN).
Auch indiziert nicht jede verbale Entgleisung eine Befangenheit, wenn nicht die dabei manifestierte Wortwahl geeignet ist, begründete Zweifel an der Bereitschaft des Richters oder der Richterin daran zu erwecken, dass die Einwendungen der Partei im gebotenen Umfang ernst genommen werden und ihr Vorbringen auch zu ihren Gunsten geprüft wird (vgl. VwGH 20.4.2022, Ra 2020/14/0407, mwN).
Die Revision zeigt mit ihrem Vorbringen, die Fragen des erkennenden Richters in der mündlichen Verhandlung hätten Zweifel an seiner vollkommenen Unbefangenheit erkennen lassen, jedoch nicht auf, dass dies im vorliegenden Fall der Fall gewesen wäre. Begründungsteile, die im Sinn der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes den Anschein der Befangenheit begründen könnten (vgl. zur Relevierung von Begründungsteilen und deren Eignung zur Begründung einer Befangenheit VwGH 25.6.2019, Ra 2018/19/0676), sind dem angefochtenen Erkenntnis zudem nicht zu entnehmen.
Soweit die Revision jedoch einen Verfahrensmangel geltend macht, indem sie die in der mündlichen Verhandlung beantragte und schließlich unterbliebene Einvernahme des Zeugen A. und damit einhergehend eine antizipierende Beweiswürdigung rügt, so erweist sie sich als begründet:
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist Beweisanträgen grundsätzlich zu entsprechen, wenn die Aufnahme des darin begehrten Beweises im Interesse der Wahrheitsfindung notwendig erscheint. Dementsprechend dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich ungeeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts beizutragen (VwGH 26.4.2021, Ra 2021/14/0015, Rz 29, mwN).
Das BVwG brachte in seiner Entscheidung erkennbar zum Ausdruck, dass beim Revisionswerber keine Homosexualität vorliege. Die Abstandnahme von der Einvernahme des beantragten Zeugen begründete es insbesondere damit, dass diese nicht dazu geeignet sei, die Homosexualität des Revisionswerbers zu belegen.
Wie in der Revision, in der auch die Relevanz des Verfahrensfehlers aufgezeigt wird, zu Recht geltend gemacht wird, lag im vorliegenden Fall keiner der dargestellten Gründe, wonach von der beantragten Beweisaufnahme hätte Abstand genommen werden dürfen, vor. Vielmehr stellen sich die wiedergegebenen Überlegungen des BVwG als eine vorgreifende Beweiswürdigung dar. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darf die freie Beweiswürdigung gemäß § 45 Abs. 2 AVG (hier iVm § 17 VwGVG) aber erst nach einer vollständigen Beweiserhebung einsetzen; eine vorgreifende (antizipierende) Beweiswürdigung, die darin besteht, dass der Wert eines Beweises abstrakt (im Vorhinein) beurteilt wird, ist unzulässig (vgl. VwGH 3.12.2020, Ra 2020/20/0094 bis 0096, mwN).
Da das BVwG im Fall eines mängelfreien Verfahrens zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war das angefochtene Erkenntnis im angefochtenen Umfang schon aus den dargestellten Gründen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben, ohne dass auf das weitere Vorbringen in der Revision einzugehen war.
Unsere Meinung dazu
Ein faires Verfahren ist wichtig. Dazu zählt klarerweise auch ein fairer Richter. Die Gründe warum ein Richter befangen sein könnte, müssen aber schwer wiegen und zweifelsfrei erkennbar sein. Eine bloße Vermutung oder der Anschein einer Befangenheit reichen noch nicht aus. Das ist auch richtig so, da die Gerichte ansonsten in Ablehnungsanträgen untergehen und Entscheidungsvakanzen entstehen würden.