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Geringfügige Wasserzuleitungen

Geringfügige Wasserzuleitungen

OGH vom 09.10.2024, 1 Ob 100/24y:
[1] Der Kläger ist Eigentümer zweier Liegenschaften ua mit den Grundstücken 538, 537/6 und 537/9. Die Beklagte ist Eigentümerin der Grundstücke 536/21, 537/1 und 537/3. Das Grundstück 537/1 der Beklagten grenzt an das Grundstück 538 des Klägers (eine freie Wiese mit ein paar Obstbäumen).

[2] Über das Grundstück 537/1 der Beklagten und anschließend über das Grundstück 537/9 des Klägers verläuft ein Bachgerinne mit Vorflutfunktion, das vorwiegend Oberflächenwässer aus Quellaustritten südlich der Grundstücke abführt. Untergeordnet gibt es auch Wasserzutritte eines sehr seichten Grundwassers.

[3] In dieses Gerinne leitet die Beklagte auf ihrem Grundstück 537/3 mit Hilfe einer Pumpe über ein Polokalrohr Grundwasser, das in einem Sickerschacht um ihr Swimmingpool gesammelt wird. Die Wassereinleitung durch den Pumpbetrieb reicht nicht aus, um eine messbare Erhöhung des Wasserstands des Oberflächenwassers im Gerinne zu verursachen. Es kann somit zu keiner Steigerung des Grundwasserstands auf dem Grundstück 538 des Klägers kommen. Aufgrund der geringen Einleitmenge entsteht keine messbare Wasserwelle im Gerinne, welche auf dem Grundstück 537/9 des Klägers noch nachvollziehbar wäre. Die Einleitung hat aufgrund der beschriebenen Verhältnisse keinen nachteiligen Einfluss auf das Grundstück 538 des Klägers.

[4] An der Grenze ihres Grundstücks 537/3 hat die Beklagte eine Betonmauer errichtet. Das Grundstück 538 des Klägers ist von der Errichtung der Stützmauer durch lokale Wasserstandserhöhungen entlang des Gerinnes erst bei deutlich über 100-jährlichen Hochwasserereignissen betroffen. Die Differenz zwischen der Oberkante der Holzbeplankung und der Oberkante der Betonmauer führt für das Grundstück 537/6 des Klägers insofern zu einem signifikanten Unterschied bei einem größeren als 30-jährlichen Hochwasser, als es in flächenmäßig größerem Ausmaß mit einer Zunahme der Wassertiefe von einem bis fünf Zentimetern betroffen ist und Erosionsschäden an der Oberfläche in kleinerem Ausmaß möglich sind. Allerdings weist diese Wassertiefe aufgrund der geringen Höhe kein großes Schadenspotenzial auf.

[5] Der Kläger begehrte, soweit für das Revisionsverfahren relevant, die Beklagte schuldig zu erkennen, „ab sofort die Zuleitung von Wasser auf die Grundstücke 538, 537/9 und 537/6 zu unterlassen“.

[6] Die Beklagte leite Wasser von ihrer Liegenschaft unmittelbar auf die Grundstücke des Klägers zu, und zwar einerseits durch Ableitung der Poolwässer durch das Rohr und andererseits durch die Errichtung der Betonmauer.

[7] Zuletzt brachte er (im Wege einer vom Erstgericht zugelassenen Klageänderung) vor, die Beklagte habe massive bauliche Veränderungen bzw Geländeveränderungen auf ihren Grundstücken 536/21 und 537/3 vorgenommen, wodurch der ursprüngliche Bachverlauf bzw die natürlichen Abflussverhältnisse der sich auf den Grundstücken der Beklagten ansammelnden oder darüber fließenden Gewässer zum Nachteil des Klägers verändert worden seien.

[8] Die Beklagte bestritt. Eine direkte Zuleitung liege nicht vor. Geringfügige Zuleitungen, die nur in seltenen Fällen auftreten und keinen nennenswerten Nachteil mit sich bringen würden, seien zudem zu dulden. Auch wandte sie ein, dass das Klagebegehren dem Konkretisierungsgebot widerspreche und massiv überschießend sei, würde es selbst bei starken Regenfällen eine Exekution gegen die Beklagte erlauben.

[9] Das Berufungsgericht bestätigte die klageabweisende Entscheidung des Erstgerichts und ließ die ordentliche Revision zu.

[10] Nach dem festgestellten Sachverhalt betrage die Entfernung des Rohrs zur Grundgrenze minimal 15 m und maximal 30 m, sodass keine Grenznähe vorliege. Das Wasser aus dem Rohr gelange nicht unmittelbar, sondern nur indirekt auf das Grundstück des Klägers 537/9. Es ergebe sich keine darstellbare Änderung der Wasserspiegelhöhen im Bach. Damit könne von einer unzulässigen unmittelbaren Zuleitung nicht gesprochen werden. Es fehle an der Kausalität, weil aufgrund der geringen Einleitmengen Auswirkungen auf das benachbarte Grundstück rein auf die grundsätzliche Hochwassersituation und nicht auf die Einleitung zurückzuführen seien. Die Errichtung der Betonmauer habe auf die Grundstücke 538 und 537/9 des Klägers – auch bei Hochwasserereignissen – keine signifikanten und auf das Grundstück des Klägers 537/6 nur geringfügige Auswirkungen, die kein Vernünftiger als nennenswerte Folge ansehen würde. Dem Kläger stünden daher keine Unterlassungsansprüche zu.

[11] Das Prozessvorbringen des Klägers, dass bauliche Veränderungen der Beklagten auf deren Grundstücken 536/21 und 537/3 in Form einer beträchtlichen Vertiefung des Bachbetts, einer Vergrößerung des Kanalrohrquerschnitts und einer Aufschüttung des Erdwalls einen erheblichen Einfluss auf die Abflussverhältnisse im Hochwasserfall zum Nachteil des Grundstücks 538 und untergeordnet auch des Grundstücks 537/9 haben würden, sowie dass nach Errichtung dieser baulichen Maßnahmen das Grundstück 538 sowohl flächenmäßig sowie auch bezüglich des Wasserstands in höherem Ausmaß betroffen sei, sei zu unbestimmt, weil das Ausmaß der Vertiefung des Bachbetts, das Ausmaß der Vergrößerung des Kanalrohrquerschnitts, das Ausmaß der Aufschüttung des Erdwalls sowie wie der Hochwasserabfluss sich zum Nachteil der klägerischen Grundstücke verändert haben soll, nicht im Detail konkret unter Angabe von konkreten Maßeinheiten angegeben worden sei, sodass darauf basierend hinreichend konkrete Sachverhaltsfeststellungen getroffen werden könnten.

[12] Die ordentliche Revision sei zur Abgrenzung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Zuleitung in Bezug auf die Erforderlichkeit der Grenznähe bzw das Ausmaß des Abstands zwischen Zuleitung und Grundstücksgrenze zulässig.

Rechtliche Beurteilung
[13] Die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

[14] 1. Gemäß § 364 Abs 2 ABGB kann der Eigentümer eines Grundstücks den Nachbarn die von dessen Grund ausgehenden Einwirkungen etwa durch Abwässer insoweit untersagen, als sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigen. Unmittelbare Zuleitungen – insbesondere auch von Wasser – sind ohne besonderen Rechtstitel unter allen Umständen unzulässig.

[15] Nach ständiger Rechtsprechung ist ein auf § 364 Abs 2 Satz 2 ABGB gestützter Unterlassungsanspruch aber dann nicht berechtigt, wenn sich eine willkürliche Änderung der natürlichen Abflussverhältnisse, durch die es zu einer unmittelbaren Zuleitung auf das Nachbargrundstück kommt, auf dieses nur geringfügig auswirkt und dies kein vernünftiger Mensch als nennenswerten Nachteil ansähe (RS0121625). Unmittelbare Einwirkungen mit nur geringfügigen Auswirkungen auf das betroffene Grundstück können demnach nicht mit Unterlassungsklage (Eigentumsfreiheitsklage) abgewehrt werden (1 Ob 27/21h ua).

[16] 2. Ob die Auswirkungen auf ein Grundstück bloß geringfügig sind und für die klagende Partei keine nennenswerten Nachteile entstehen, hängt stets von den Umständen des Einzelfalls ab und wirft daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage auf (10 Ob 45/14m). Eine grobe Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts zeigt der Revisionswerber hier schon deshalb nicht auf, weil er nicht darlegt, aus welchem Grund die festgestellten – so überhaupt vorhanden – ausschließlich mit größeren als 30-jährlichen Hochwassern verbundenen Auswirkungen doch relevant sein sollten. Seine Rechtsrüge beschränkt sich auf die Behauptung, dass unmittelbare Zuleitungen immer unzulässig seien, die aber die bereits vom Erstgericht dargestellte Rechtsprechung außer Acht lässt.

[17] Die vom Kläger vermisste Feststellung, dass ein Versickern des Wasserausstoßes aus dem Rohr auf der Parzelle der Beklagten auszuschließen sei, würde nichts an der bloßen Geringfügigkeit der Auswirkungen dieses Wasserausstoßes auf seine Grundstücke ändern.

[18] Soweit er aus einem in erster Instanz als Beweismittel vorgelegten Video die Zuleitung großer Mengen an Wasser auf seine Grundstücke ableiten will und meint, diese Dokumentation sei von den Vorinstanzen nicht hinreichend gewürdigt worden, wendet er sich gegen die in dritter Instanz unangreifbare Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen (RS0043371 [T22, T24]).

[19] 3. Auf die vom Berufungsgericht im Zulassungsausspruch aufgeworfene Frage nach der Abgrenzung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Zuleitung anhand der „Grenznähe“ kommt es nicht weiter an.

[20] 4. Dem Revisionswerber ist zuzugestehen, dass das Berufungsgericht sein Vorbringen zu den weiteren baulichen Maßnahmen der Beklagten zu Unrecht für unbestimmt erachtet hat, nur weil er die Ausmaße der behaupteten Vertiefung des Bachbetts, der Vergrößerung des Kanalrohrquerschnitts und der Aufschüttung des Erdwalls sowie der Veränderung des Hochwasserabflusses zum Nachteil seiner Grundstücke „nicht im Detail konkret unter Angaben von konkreten Maßeinheiten“ angeführt hat.

[21] Allerdings ist dem Kläger damit nicht geholfen. Er begehrte von der Beklagten bis zuletzt pauschal die Unterlassung der Zuleitung von Wasser auf seine Grundstücke, obwohl die Beklagte in erster Instanz – in Replik auf seine Klagsausdehnung – bereits ausdrücklich eingewandt hat, dass dieses Klagebegehren zu unbestimmt und zu weit sei.

[22] Ein Unterlassungsgebot muss das verbotene Verhalten so deutlich umschreiben, dass es dem Beklagten als Richtschnur für sein künftiges Verhalten dienen kann. Diesem Erfordernis genügen nicht näher konkretisierte, allgemeine Begriffe nicht. Es muss in einer für das Gericht und die Parteien unverwechselbaren Weise feststehen, was geschuldet wird (RS0119807). Dementsprechend ist es zulässig, die konkrete Verletzungshandlung zu nennen und das Verbot auf ähnliche Eingriffe zu erstrecken, oder das unzulässige Verhalten verallgemeinernd zu umschreiben und durch „insbesondere“ aufgezählte Einzelverbote zu verdeutlichen. Immer muss der Spruch aber den Kern der Verletzungshandlung erfassen (8 Ob 137/21m mwN). Die Abgrenzungskriterien müssen stets derart bestimmt angegeben sein, dass es zu keiner Verlagerung des Rechtsstreits in das Exekutionsverfahren kommt (RS0000878 [T7]). So wie einem Beklagten nicht generell aufgetragen werden kann, sich rechtmäßig zu verhalten (RS0119807 [T3]), würde eine generelle Verpflichtung zur Unterlassung – zB von „Handlungen zu Zwecken des Wettbewerbs, die gegen die guten Sitten verstoßen“ (4 Ob 140/06a) – keinen ausreichend bestimmten Exekutionstitel bilden (RS0000771).

[23] Selbst wenn das der Klagsausdehnung zugrundeliegendes Vorbringen zutreffend sein sollte, käme hier eine Klagestattgebung – wie sie vom Kläger angestrebt wird – nicht in Frage, weil das gewünschte Unterlassungsgebot etwa auch unmittelbare Einwirkungen mit nur geringfügigen Beeinträchtigungen erfassen würde, die der Kläger der Beklagten aber gerade nicht untersagen lassen kann.

[24] Da § 405 ZPO auf dem Dispositionsgrundsatz beruht, kommt ein (objektiver) Minderzuspruch dann nicht in Betracht, wenn der Kläger erklärt, dass er nur an einer Gesamtstattgebung Interesse hat. Denn in diesem Fall läge nach der letztlich maßgebenden Sicht der Partei kein Minus, sondern ein Aliud zum Gewollten vor (4 Ob 93/13z [ErwGr 2.2.b]; 4 Ob 15/22t [Rz 14]).

[25] Der Kläger hat trotz entsprechender Einwendungen der Beklagten jegliche Konkretisierung oder Einschränkung seines Klagebegehrens durch Bezugnahme auf bestimmte Verletzungshandlungen unterlassen; er beharrt auch im Revisionsverfahren auf einer vollumfänglichen Klagestattgebung (vgl 4 Ob 91/18p [ErwGr 1.3.]) und bringt kein Interesse an einem Minderzuspruch zur Darstellung.

[26] Der Kläger vermag daher mit seiner Revision auch in diesem Punkt keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.

[27] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO; die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Unsere Meinung dazu

Das Nachbarrecht kann eine leidige Angelegenheit sein. Wenn man den Sachverhalt dieser Entscheidung durchliest, kann man sich vorstellen, wie es um die persönliche Beziehung der Streitteile bestellt ist.
Nichtsdestotrotz widerspricht die Rechtsansicht des OGH dem klaren Wortlaut des Gesetzes: § 364 Abs. 2 ABGB besagt, dass die "unmittelbare Zuleitung ohne besonderen Rechtstitel unter allen Umständen unzulässig ist". Deutlicher kann man es nicht formulieren. Der OGH geht in seiner Rechtsprechung dennoch davon aus, dass geringfügige Zuleitungen dann keinen Unterlassungsanspruch begründen, wenn ein vernünftiger Mensch die Zuleitung nicht als nennenswerten Nachteil ansehen würde. Davon steht im Gesetz nichts. Der OGH sollte es dem Gesetzgeber überlassen, derart strickte Regelungen - falls notwendig - anzupassen. Außerdem hätte der OGH diesen Sachverhalt auch mit dem Grundsatz von Treu und Glauben lösen können, wonach eine missbräuchliche Rechtsausübung bzw. Schikane generell verboten sind. Das hätte besser gepasst, als einer eindeutigen Regelung einen nicht vorhandenen Beisatz zuzudenken.